Industrie unserer Bequemlichkeit

Ein freundlicher Blick, Routinehöflichkeit, vielleicht Trinkgeld. Es ist eine flüchtige Begegnung, wenn wir an der Tür das Essen vom Lieferboten entgegen nehmen. Die Erinnerung an das Gesicht verschwimmt hinter dem warmen Geruch der sehnsüchtig erwarteten Mahlzeit. Wir würden es aber ohnehin nicht wiedererkennen. Auf der Straße ist es eines von vielen in einer Masse aus pinken, grünen und orangenen Signalfarben auf elektrifizierten Zweirädern.

Gehören bei Wind und Wetter zum Stadtbild: Fahrradbotinnen und Fahrradboten (Credit: Alexander Zauner)

Markus weiß bestens über den Job Bescheid. Neben dem Studium war er selbst für mehrere Lieferservice-Anbieter unterwegs und fährt heute noch ab und zu. Radfahren ist für ihn ein Hobby und er engagiert sich ehrenamtlich für andere FahrradbotInnen beim Riders Collective – einer Initiative des ÖGBs, die FahrerInnen über ihre Rechte aufklärt und sich für arbeitgeberunabhängige Solidarität einsetzt. Ihren Standort hat das Riders Collective am Gürtel, genauer gesagt im Roten Bogen an der Josefstädter Straße. Hier treffen wir Markus zum Interview, um endlich ein konkretes Bild von der Industrie zu bekommen, die uns das Essen vor die Haustür liefert.

von Alexander Zauner, 17.11.2023

Bestellst du selbst manchmal bei Lieferdiensten?

Sehr selten, zuletzt als ich krank zu Hause gelegen bin. Die Restaurants geben ca. 30 % der Summe ab und dann kommt ein Fahrer der auch nicht gut bezahlt wird. Da kann man es auch selbst abholen oder direkt beim Restaurant anrufen. So zahlt das Restaurant zumindest keine Abgabe und liefert mit den eigenen Angestellten.

Gibt es sonst Dinge die man beachten kann, wenn man bestellt?

Was Arbeitsbedingungen betrifft, könnte man beispielsweise versuchen auf Dienste zurückzugreifen, die die Rider mit echten Dienstverträgen anstellen. Das wäre in Österreich Lieferando, weil Wolt und Foodora nur freie Dienstnehmer einstellen. Da greifen die Kollektivverträge nicht, es wird nur nach Auftrag bezahlt und du wartest oft stundenlang auf Aufträge. Es geht aber nicht nur um geregelte Stundenlöhne sondern auch um Krankenstand, bezahlten Urlaub und Co. Ich hab mir selbst vor ein paar Jahren während der Arbeit das Schlüsselbein gebrochen und war drei Monate außer Gefecht. Als freier Dienstnehmer hätte das für mich damals bedeutet, dass ich in der Zeit gar kein Geld verdiene.

Die Interessen der Rider werden von der Gewerkschaft vida vertreten. Seit 2020 gibt es einen Kollektivvertrag für FahrradbotInnen. Dieser gilt allerdings nur für Arbeitnehmer mit Dienstvertrag, nicht aber für freie Arbeitnehmer

Ist das Geld ein Grund aus dem manche ohne Dienstvertrag arbeiten wollen?

Es wird immer damit geworben, dass man damit mehr verdient. Wenn man aber die 14 Gehälter vom Kollektivvertrag berücksichtigt, kommen fest Angestellte mit Urlaub auf einen Stundenlohn von ca. 16 €. Das erreichen FahrerInnen bei Wolt oder Foodora mittlerweile kaum mehr, obwohl eben überall damit geworben wird. Man ist ein bisschen flexibler, auszahlen tut es sich aber nicht.

Ist es wegen der Flexibilität ein Job, den du z.B. Studierenden empfehlen würdest?

Teilweise. Es ist halt vorteilhaft, dass man relativ spontan arbeiten kann. Das wird aber auch schwieriger, weil Schichten manchmal schon eine Woche im Vorhinein vergeben werden. Bei Foodora gibt es dann auch noch ein Ranking, wo die oberen FahrerInnen ihre Schichten vor den anderen buchen können. Strafpunkte gibt es beispielsweise wenn man Toilettenpausen macht, das Handy-Signal verliert oder nicht zu Spezialzeiten an Sonn- und Feiertagen arbeitet. Die besten können ihre Schichten schon eine Stunde vorher buchen. Danach gibt es oft gar keine Schichten mehr.

Gibt es das nur bei freien oder auch bei fest angestellten?

Nur bei freien Dienstnehmern. Es wird dadurch erwartet, dass sich alle FahrerInnen trotzdem wie echte Angestellte verhalten, wozu sie gesetzlich eigentlich nicht verpflichtet sind. Strafpunkte nehmen einem dann die Möglichkeit in der nächsten Woche zu arbeiten.

„Wenn die Plattformen von den Arbeitern erwarten, dass sie ihre pinken Jacken und Rucksäcke tragen und sich an alle Regeln halten, sind es meiner Meinung nach keine freien Dienstnehmer.“

Markus

Man sollte ja meinen, dass das vor allem als Nebenjob geeignet ist. Eine Studie des Europäischen Instituts für Wohlfahrtspolitik hat aber ergeben, dass fast ein Drittel der Arbeitnehmer auf das Einkommen aus dieser Arbeit angewiesen sind.

Ich glaube die meisten wollen auch Vollzeit fahren. Viele arbeiten 60 Stunden, sieben Tage die Woche ohne Pause, weil bei den freien Dienstverhältnissen keine Ruhezeiten einzuhalten sind. Mit dem Kollektivvertrag wurde ein Weg eingeschlagen, dass man sagt das die Leute davon leben können, sozial abgesichert sind und am Ende des Monats planen können, wie viel Geld sie verdienen. Dass die Plattformen das umgehen, indem sie nur freie Dienstnehmer einstellen, ist dann sehr ärgerlich.

Fördern Rahmenbedingungen wie das Punktesystem riskante Fahrweisen?

Ja schon, da spielt die Bezahlung pro Bestellung auch eine wichtige Rolle. Wenn du nie weißt, wie viel Geld du am Ende der Stunde machst, versuchst du immer möglichst schnell zu sein. Da zählen rote Ampeln dann nicht mehr so viel. Ich nehme es selbst wahr, dass die Leute unter Stress stehen und Auftrag für Auftrag hinterherhetzen. Es wurden auch die Distanzen von den Bestellungen in den letzten Monaten viel größer, weil der Algorithmus umgestellt wurde. Aus diesen Gründen tunen viele FahrerInnen unerlaubterweise ihre E-Bikes und rechnen durch, wie viel sie liefern müssen, um eine mögliche Strafe wieder reinzuholen.

Ist trotzdem eine Regelung mit Dienstvertrag für Arbeitgeber so unattraktiv, dass sie lieber auf freie Dienstnehmer setzen?

Ich glaube ein echtes Dienstverhältnis hat auch für die Arbeitgeber große Vorteile, weil sie wissen, zu welchen Zeiten die Leute arbeiten. Beispielsweise haben Wolt und Foodora an Schlechtwettertagen teils Schwierigkeiten genug Leute zu finden, die arbeiten wollen. Ich war vor ein paar Tagen als es geschüttet hat, abends noch Wolt fahren. Da gab es Pizzen, die zwei Stunden fertig aber nicht abgeholt waren, weil für das Geld niemand bereit ist bei dem schlechten Wetter zu fahren. Wenn die Leute fest angestellt sind, können die Arbeitgeber besser planen wie viele gebraucht werden und sie wissen, dass die meisten dann auch arbeiten werden.

Wird die Arbeitnehmervertretung bei den Ridern auch angenommen?

Es gibt eigene Communitys in der Rider Szene. Leider gibt es einige Schwierigkeiten, wie Sprachbarrieren, die zu vernetzen, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Vor kurzem gab es eine Demo von 200 freien Dienstnehmern vor dem Foodora-Hauptgebäude in Wien, das kümmert Foodora aber leider recht wenig. Deshalb ist es wichtig gemeinsam Aktionen zu planen. Da reicht es wenn die Leute einen Tag nicht online kommen, um Veränderungen zu bewirken.

Ist Vernetzung die Hauptaufgabe des Riders Collective im Roten Bogen?

Ja genau, einfach Leute zu informieren und zu connecten, eine gewisse Community aufzubauen. Die Leute können sich hier während der Arbeit ausruhen, die Toilette benutzen oder einen Kaffee trinken. Alle zu vernetzen ist aber eben schwierig, auch weil die meisten dauernd unterwegs sind. Wenn sie mal Pause haben sind sie nicht immer in der Nähe. Wir versuchen es auch über regelmäßige Events, wie unseren regelmäßigen Stammtisch, damit die Leute wissen, dass sie jederzeit vorbei kommen können. Im Sommer gibt’s das auch mit Grillplatzreservierung auf der Donauinsel. Das wird bei den FahrerInnen gut angenommen und wir kommen regelmäßig zusammen.