Bis zu einer Million für eine Brieftaube, Flugdistanzen um die 1000 Kilometer – das ist der Brieftaubensport. In Wien sind wir von Tauben umgeben, doch fast keiner denkt dabei an die Spitzenleistungen, zu denen die Tiere fähig sind. Einen Einblick in den durchaus harten Sport der Brieftauben gibt uns Egon Lauter, Brieftaubenzüchter aus Bad Pirawarth (Niederösterreich) und erster Obmann im Vorstand der Vereinigten Brieftaubenreisevereinigungen Wien, Niederösterreich und Burgenland.
von Katharina Feigl, 4.1.2024
Wie viele Tauben haben Sie?
Jetzt habe ich genau 157.
Hat da jede Taube einen Namen?
Die Zuchttauben haben einen Namen. Einer aktiven Wettflugtaube gebe ich noch keinen Namen, erst wenn sie dann in den Zuchtschlag kommen. Sonst kränke ich mich, wenn es dann beispielsweise die Hanni bei einem Wettflug nicht mehr nach Hause schafft.
Wie läuft ein Taubenrennen ab?
Freitag ist Einsatz. Das ist der Tag, wo man ins Vereinshaus geht und seine Tauben abgibt. Die werden dort registriert und kommen in eine Kiste. Dann kommt der LKW und fahrt zum Startpunkt, wo die Tauben am Samstag in der Früh ausgelassen werden, dem sogenannten Hochlass. Die Tauben fliegen von dort in den jeweiligen Heimatschlag zurück.
Zu Hause sitzen Sie aber nicht mit der Stoppuhr, oder?
Nein, das geht schon alles elektronisch. Das heißt, die Taube hat eine Chipring am Fuß. Beim Schlag gibt es dann eine Antenne und ein Computerkästchen, das die Taube registriert. Wenn sie daheim ankommt, muss sie sofort in den Schlag rein, weil wenn sie draußen sitzen bleibt, wird die Taube nicht registriert. Das ist mir auch schon passiert, das ist eine Katastrophe.
Was macht einen Wettflug so brutal?
Bei jedem Wettflug gibt es Tauben, die es nicht mehr heimschaffen. Dass eine Taube sich verfliegt, das gibt es fast nicht. Das Problem sind die Raubvögel, hauptsächlich Wanderfalken. Da müssen die Tauben bei den Wettflügen halt durch. Eine gute Taube fliegt alleine. Und das ist für den Raubvogel ein gefundenes Fressen. Manche von ihnen schaffen es nach so einem Angriff noch nach Hause. Aber wie die heimkommen. Komplett aufgerissen, dass man sich nur denkt, wie kann das Viech überhaupt noch leben. Und komplett voller Blut. Bei einer Taube war der Kropf so aufgerissen, das sie keine Nahrung mehr aufnehmen konnte, weil alles wieder rausgeronnen ist. Ich nähe sie dann daheim eh wieder zusammen. Einer haltet die Taube, der andere desinfiziert die Wunde und näht. Ein Freund von mir ist Tierarzt, der hat mir das beigebracht.
Gibt es noch weitere Gefahren?
Neben den Raubvögeln sind auch noch Hochspannungsleitungen und Windräder eine Katastrophe. Da bin ich einmal im Auto gefahren und habe eine Scharr Tauben fliegen gesehen. Und auf einmal trennt sich diese Scharr. Die vorderen Tauben sind ausgewichen, aber die hinteren drei oder vier haben keine Chance mehr gehabt. Die sind voll in die Hochspannungsleitung reingeflogen und tot hinuntergefallen.
Warum fliegt eine Taube bei einem Wettflug so schnell zurück?
Da gibt es verschiedene Motivierungsmethoden, zum Beispiel die Eifersuchtsmethode. Männchen und Weibchen werden getrennt gehalten. Am Abend vor dem Rennen lasse ich das Weiberl zum Männchen in den Schlag rein. Vor dem Rennen nimmt man dann das Männchen raus und der denkt sich: boah jetzt beeile ich mich, wenn ich heimkomme, ist meine Prinzessin daheim und wartet schon auf mich. Wenn die zwei nicht so recht wollen, dann sperre ich einfach ein anderes Männchen zu seinem Weibchen. Dann ist er umso schneller wieder daheim nach einem Wettflug.
Die Wettflüge werden oft als Tierquälerei bezeichnet, was entgegnen sie da?
Heutzutage gibt es immer mehr Tierschützer, das ist eh in Ordnung. Aber viele übertreiben halt. Sie beschweren sich oft, dass die armen Tauben ja so weit heimfliegen müssen und dass einige es gar nicht mehr nach Hause schaffen. Auch die Eifersuchtsmethode wird da häufig kritisiert. Die Tierschützer vermenschlichen einfach alles. Aber ich kenne meine Tauben. Eine Taube, die krank ist und die Leistung nicht erbringen kann, lasse ich auch nicht mitfliegen. Tauben sind wie Haustiere, die halt eine Leistung erbringen müssen. Sie brauchen diese Wettflüge einfach.
Gibt es am Schluss eine Siegertaube?
In Österreich ist es so, dass die beständige Taube zählt. Das heißt, wenn ein Wettflug stattfindet, die ersten 33 % der gesetzten Tauben, die an dem Flug teilnehmen, machen einen Preis.
Wie viel bekommt man als Preisgeld?
In Österreich geht es um nichts, da geht es wenn dann um die Ehre. Aber in Deutschland, Belgien und Holland geht es teilweise um viel Geld. Früher hat es in Südafrika einen Taubenwettflug geben, da hat man eine Million gewinnen können. Bei uns im Verein bekommt der Sieger 20 Euro.
Wie viel kostet eine Brieftaube?
Von geschenkt bis zu einer Million ist alles dabei. In Österreich sind die Wettbewerbe und die Zucht nur ein Hobby, aber in den klassischen Brieftaubenländern wie Belgien oder Holland können Taube echt teuer sein.
Tauben werden oft mit Krankheiten und Parasiten in Verbindung gebracht. Was ist dran an dem schlechten Image als „fliegende Ratten“?
Das bezieht sich nur auf die Stadttauben. Bei uns geht der Tierarzt ständig ein und aus. Wir Brieftaubenzüchter haben richtige Angst vor den Stadttauben. Die haben sehr viele Krankheiten, die ihnen aber selber nichts mehr machen. Ihre Körper sind einfach schon resistent dagegen. Wenn bei mir aber eine Stadttaube am Dach von meinem Taubenschlag sitzt, bin ich schon draußen. Wenn die in den Schlag reinkommt, dann sterben meine Brieftauben wie die Fliegen. Für die Menschen selbst sind die Stadttauben aber ungefährlich.
Wie unterscheidet sich eine Brieftaube von den Stadttauben?
Das ist ein ganz ein großer Unterschied. Sie schauen zwar ähnlich aus aber die Brieftaube ist eine Taubenrasse, die sich durch ein sehr gutes Orientierungs- und Heimfindevermögen auszeichnet. Die Stadttauben haben das nicht.
Ist das schlechte Image der Tauben also nicht gerechtfertigt?
Jein. Das kann man so und so sehen. Aber in den letzten Jahren passiert da viel Gutes. Die Tauben werden ja nur so verdammt, weil sie alles anscheißen und die scheißen nur deshalb so viel, weil sie nichts Gescheites zum Fressen finden. In vielen Städten machen sie jetzt Taubenschläge. Auch in Wien gibt es welche auf Dachböden. Die Tauben werden ordentlich gefüttert und auch eine Geburtenregelung ist möglich. Den Tauben werden die Eier weggenommen und es werden ihnen Plastikeier hineinlegen. Somit werden es automatisch weniger, aber sie sind auch gesünder.
Welche Distanzen fliegen Tauben bei einem Wettflug?
Früher hat es Wettflüge gegeben mit über 1000 Kilometer. Das gibt es heute nicht mehr. Es geht heutzutage viel mehr alles auf Geschwindigkeit. Die Tauben können sich ihre Kraft nicht mehr so gut einteilen wie früher. Heute fliegt eine Taube nur mehr um die 600 Kilometer (Anmerkung: Luftlinie Wien Berlin beträgt rund 520km), dafür fliegt sie diese in einem Zug durch wie eine Geistesgesgestörte. Sie denkt gar nicht mehr darüber nach, dass der Körper vielleicht nicht mehr kann, sondern das Hirn sagt: wir fliegen heim.
Jede Taube fliegt eine andere Distanz, wie wird das bewertet?
Jede Taube fliegt nach dem Start wieder zu ihrem Schlag zurück. Je nachdem wo man wohnt, sind die Flugstrecken unterschiedlich lang. Daher rechnet man die benötigte Zeit durch die geflogenen Kilometer. Es geht darum, wie viele Meter die Tauben in der Minute machen. Im Durchschnitt fliegen Tauben so um die 1400 bis 1500 Meter pro Minute.
Was ist das ideale Taubenflugwetter?
Leicht bewölkter Himmel und windstill. Strahlend blauer Himmel ist nicht gut und Regen auch nicht. Darauf muss man bei einem Wettflug Rücksicht nehmen. Passt das Wetter nicht, schaffen es viele Tauben nicht mehr zurück nach Hause. Auch der Wind hat einen riesigen Einfluss auf den Wettflug.
Welchen Einfluss hat der Wind?
Für die Tauben ist Rückenwind besser, da strengt sie sich wenig an. Wind ist gerade bei kurzen Wettflügen ein Problem. Die Tauben fliegen alle in unterschiedliche Richtungen heim. Die eine hat einen Rückenwind und die andere einen Gegenwind. Aber das ist halt ein ein Hobby, was in der freien Natur stattfindet und da kann man einfach nichts dagegen machen.
Was ist besonders wichtig für die Tauben vor einem Wettbewerb?
Die werden ernährt wie ein Spitzensportler. Sie bekommen spezielle Mischungen, die leicht verdaulich sind, aber auch Kraft bringen, für die lange Reise. Da muss man aufpassen, dass man ihnen vor dem Wettflug kein Futter gibt, das durstig macht. Sonst müssen die Tauben während dem Wettbewerb zu einer Wasserstelle runterfliegen und dann hat man schon verloren. Wenn das passiert, hat man einen Fehler gemacht bei der Betreuung in der ganzen Woche davor.
Wie orientieren sich Tauben?
Einerseits weiß man, wie sie sich orientieren, andererseits weiß man es aber auch nicht genau. Prinzipiell am Erdmagnetfeld, über den Geruch und nach der Sicht.
Wie viele Wettflüge gibt es pro Jahr?
Zwischen zwölf und dreizehn Flüge pro Saison. Die Saison startet meist Ende April und dann fliegt man jedes Wochenende bis ungefähr August. Erster Bewerb ist in Amstetten, rund 110 Kilometer von Wien entfernt und die Distanzen steigern sich. Am Schluss fliegt man in Montabaur in Rheinland-Pfalz, 666 Kilometer bis Wien.
Wie schaut die Taubenrente aus?
Wenn sie als Renntauben gute Leistungen erbracht haben, kommen sie in den Zuchtschlag. Danach gebe ich ihnen das Gnadenbrot. Einige Tauben verkaufe ich aber auch. Getötet werden nur diejenigen, die verletzt sind. Die, die für die Rennen nicht gut genug sind, schaffen es bei einem Wettflug sowieso nicht heim. Früher oder später holt sie der Raubvogel. Tauben werden auch oft gegessen. Die schmecken echt gut. Wenn sie jetzt schon fünf Jahre geflogen sind, dann esse ich sie nicht mehr, weil dann bestehen sie nur mehr aus Muskeln. Ich darf da nur nicht wissen, dass ich gerade eine von meinen Tauben esse.
In welchen Ländern gibt es Wettflüge?
Ganz Europa fliegt: Polen, Ungarn, Deutschland, Frankreich, Belgien, Tschechien. Wenn man auf das aufpasst, sieht man öfter auch Tauben fliegen. In Österreich ist der Brieftaubensport eher minimal. Das liegt auch an der Geographie. Die, die in den Bergen wohnen, haben keine Chance mit Brieftauben. Da gibt es so viele Raubvögel. Problematisch wird es auch, wenn das Wetter nicht so gut ist und die bei einem Wettflug ins falsche Tal reinfliegen, dann sind die Tauben weg. Tauben fliegen, wenn das Wetter nicht schön ist, nicht über einen 2000er oder 3000er drüber. Die bleiben im Tal drinnen.
Hat der Brieftaubensport Zukunft?
Der Brieftaubensport in Österreich wird früher oder später aussterben. Das ist der natürliche Abgang. Die Alten sterben halt irgendwann und junge Menschen fangen kaum mehr mit dem Taubenzüchten an. In Österreich gibt es im Schnitt 10 Züchter pro Jahr weniger. Derzeit gibt es ungefähr 500 aktive Züchter. In Polen und Rumänien ist gerade Hochkonjunktur. Dort fangen immer mehr junge Menschen mit dem Brieftaubenzüchten an.
Genau wie bei den Pferden hat auch jede Taube einen Stammbaum: