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Laute Meere, leises Sterben

Ein Text von Elias Oberparleiter

Dauer: 8 min.

Unter der Oberfläche unserer Meere dröhnt ein unsichtbarer Lärm – verursacht durch Schiffe, seismische Tests und militärische Aktivitäten. Doch dieser Lärm hat verheerende Auswirkungen: Wale, Delfine und andere Meeresbewohner verlieren die Orientierung, finden keine Nahrung mehr oder werden in ihrer Fortpflanzung behindert. Warum Unterwasserlärm eine große Gefahr für die Artenvielfalt darstellt und was unternommen werden sollte, um die Meere wieder leiser zu machen, liest du in diesem Interview mit Jakob Sonnenholzner. Er ist Sprecher für Naturschutz und Artenvielfalt bei Greenpeace.

Welche Auswirkungen hat Unterwasserlärm?

 

Unterwasserlärm hat gravierende Auswirkungen auf die Ökosysteme in den Meeren. Das liegt vor allem daran, dass Top-Predatoren, die in der Nahrungskette eine entscheidende Rolle spielen, besonders betroffen sind. Sie regulieren die Populationen anderer Arten und tragen damit zur Stabilität des gesamten Ökosystems bei. Sie leisten auch durch ihren Tod noch einen wichtigen Beitrag: Wenn sie auf den Meeresgrund sinken, stellen sie eine über Jahre andauernde Nährstoffquelle für die dort lebenden Organismen dar. Diese wiederum beeinflussen andere Nahrungsketten.

Doch die Auswirkungen von Unterwasserlärm gehen weit darüber hinaus. Studien zeigen, dass bestimmte Hummerarten, die normalerweise den Meeresboden aufwühlen und damit eine wichtige Filter- und Umgrabfunktion erfüllen, diese Aktivität einstellen, wenn seismische Tests durchgeführt werden. Dadurch wird die Verfügbarkeit von Sedimenten und Nährstoffen eingeschränkt, was negative Folgen für das gesamte Ökosystem nach sich zieht.

 

Was bedeutet das für uns Menschen?

 

Unterwasserlärm kann sich lokal negativ auf Fischpopulationen auswirken. Das führt dazu, dass die Fangquoten der Fischer vor Ort deutlich sinken, die dann die lokalen Märkte nicht mehr versorgen können. Aber auch der Verlust an Artenvielfalt wird durch den Unterwasserlärm befeuert. Ein großes Problem, unter dem wir Menschen jetzt schon leiden und in Zukunft noch mehr leiden werden. Durch Verlust von Kerntierarten, die essentiell sind für die Nahrungskette, wie dem Krill zum Beispiel, können Fischpopulationen und damit auch die Nahrungsversorgung von vielen Menschen nach und nach zusammenbrechen.

 

Wieso ist Lärm gerade unter Wasser ein so großes Problem?

 

Unter Wasser breiten sich Schallwellen ungefähr viereinhalb Mal schneller aus als an Land. Dadurch kommen die Geräusche dort einfach viel weiter.

 

Welche Tiere sind von Unterwasserlärm betroffen?

 

Alle. Unter 200 Metern Tiefe ist einfach völlige Dunkelheit. Deswegen sind die meisten Meeres- und Tiefseebewohner sehr geräuschsensible und geräuschempfindliche Wesen, die auf ein gutes Gehör angewiesen sind. Deswegen gibt es eigentlich keine Tierart im Meer, die nicht von der Lärmbelästigung betroffen ist. Wale und Delfine zum Beispiel kommunizieren aber über ihre Gesänge mit ihren Artgenossen. Dabei werden sie von den Geräuschen, die vom Menschen erzeugt werden, besonders gestört. Es gibt auch Fische zum Beispiel, die in ihrer Reproduktionsrate gestört werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Fruchtbarkeitsrate beim Kabeljau nach seismischen Tests um ungefähr 40 Prozent einbricht. Für das einfachste Verständnis sind es sicherlich Wale und Delfine, die am meisten davon betroffen sind. Aber auch der Beginn der Nahrungskette, das Phytoplankton, ist davon betroffen, bis hin zu den Tieren, die am Ende der Kette stehen.

 

Mit welchen Lautstärken haben es Delfine, Wale und Co. da zu tun?

 

Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Es gibt viele unterschiedliche Lärmquellen im Wasser. Man muss das unterteilen in den natürlichen Lärmpegel, der durch Wellenbewegungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche, aber auch durch Tiere verursacht wird. Auf der anderen Seite kommt dann der vom Menschen verursachte Lärm dazu. Das Problem ist, man kann die verursachten Dezibel im Meer nicht eins zu eins mit denen an Land vergleichen. Es ist nur möglich, Annäherungen zu machen. Eine Unterwassersprengung zum Beispiel verursacht 170 bis 180 Dezibel. Das wäre in etwa vergleichbar mit einem Flugzeugstart oder einem fliegenden Flugzeug an Land. Wenn man sowas regelmäßig neben sich hat, das ist auf jeden Fall schon mal ein recht gewaltiger Lärmpegel.

 

Was sind die Hauptquellen des Lärms?

 

Den mit Abstand größten Lärm im Meer verursachen Schallkanonen, die bis zu 250 dB laut sein können. Würde man diese Lautstärke an Land erzeugen, so wäre dies für uns Menschen unvorstellbar laut und in direkter Umgebung potenziell tödlich. Des Weiteren würde ich den Tiefseebergbau nennen, der in vielen Teilen der Welt als Chance gesehen wird, neue Vorkommen von wertvollen Materialien zu gewinnen. Es wird dazu in Tests der gesamte Meeresboden an bestimmten Stellen umgegraben, die Auswirkungen davon sind fatal. Wir und auch andere Umweltorganisationen kämpfen deshalb vehement dagegen. Die Schifffahrt verursacht vor allem an den Hauptverkehrsrouten sehr viel Lärm. Da ist das Problem, dass es durch die Motorengeräusche ein sehr kontinuierlicher Lärm ist, der die natürlichen Geräusche des Meeres einfach überlagert und zwar permanent überlagert. Dazu kommen noch die seismischen Tests, die hauptsächlich von der Wirtschaft bei der Suche nach Rohstoffen eingesetzt werden. Auch die Fischerei ist eine Quelle für Unterwasserlärm. Dort sind es vor allem Echolote und Sonarsysteme, die verwendet werden, um Fischschwärme ausfindig zu machen. Diese stören empfindlich das Koordinations- und Navigationssystem von Fischen. Gleichzeitig gibt es aber auch riesengroße Fangschiffe, die mit Schleppnetzen und anderen Fanggeräten einfach einen mechanischen Lärm verursachen, der neben dem Motorenlärm eine sehr problematische Lärmquelle für die Tiere ist. Was noch ganz wichtig ist, sind die militärischen Aktivitäten, die teilweise zur Lokalisierung von U-Booten verwendet werden. Die sind extrem laut und häufig sehr impulsgesteuert, also ähnlich wie Explosionen.

© Elias Oberparleiter

Echolot: Ein Gerät, das in der Schifffahrt genutzt wird, um die Tiefe des Wassers zu messen. Es sendet einen Schallimpuls aus und misst die Zeit, bis die vom Boden reflektierten Schallwellen zurückkommen. Anhand dieser Zeit lässt sich die Wassertiefe berechnen.

Wie schädigt der Lärm diese Tiere?

 

Man kann nicht bei allen Geräuschen sagen, dass diese akut gesundheitliche Auswirkungen auf die Tiere haben. Die Schifffahrt beispielsweise stört zunächst mal die Kommunikation, was sich dann in weiterer Folge negativ auswirken kann, wie auf den Paarungserfolg der Tiere. Wirklich akute Folgen haben plötzlich und intensiv auftretende Geräusche, wie bei Sprengungen von alten Ölplattformen oder dem Einsatz von Sonar-Kanonen. Dadurch kann das Gehör der Tiere geschädigt werden. Die Tiere geraten dadurch aber auch in Panik, wodurch der Effekt eintreten kann, der beim Menschen als Taucherkrankheit bekannt ist. Wenn Taucher entweder zu schnell nach unten oder nach oben tauchen, funktioniert der Druckausgleich im Körper nicht mehr richtig. Es entstehen dann innere Blutungen, Hirnblutungen oder sonstige Schäden auch am Nervensystem. Auch das betrifft Delfine und Wale. Die Schäden können schlussendlich dazu führen, dass die Tiere qualvoll verenden. Immer wieder wird nach militärischen Tests eine Häufung von Strandungen beobachtet.

Druckausgleich: Sorgt beim Menschen und bei Tieren dafür, dass der Druck im Körper an den Umgebungsdruck angepasst wird, etwa beim Tauchen oder Fliegen. Beim Menschen bewirkt das Gähnen einen Druckausgleich. Säugetiere, wie Wale oder Robben, haben elastisches Gewebe und spezielle Atemtechniken, die den Druck auf innere Organe minimieren. Bei Fischen erfüllt die Schwimmblase diese Funktion.

Was sind Sonar-Kanonen?

 

Das sind Airguns, die dazu verwendet werden, um den Meeresboden abzumessen oder nach Öl- und Gasvorkommen auszuleuchten.

 

Gibt es vor solchen Sprengungen Umweltverträglichkeitsprüfungen?

 

Das kommt darauf an. Für die Tiefsee habe ich dazu keine Informationen. In der deutschen Nordsee gibt es jedoch ein Schallschutzkonzept, das vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie entwickelt wurde. Dieses Konzept gilt beispielsweise auch für den Bau von Windkraftanlagen. Vor Sprengungen müssen dort Warnsignale ins Meer gesendet werden, um betroffene Tierarten – vor allem Wale – zu warnen, damit sie flüchten können. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei Weitem nicht ausreichend. Ob und in welchem Umfang Umweltverträglichkeitsprüfungen vor solchen Aktivitäten stattfinden, kann ich im Detail nicht sagen.

 

Zeichnen sich Innovationen ab, welche die Suche nach Öl weniger schädlich für die Meerestiere machen könnten?

 

Nein, da ist mir nichts bekannt. Die Alternative dazu ist ganz klar, dass wir weg von fossilen Energieträgern müssen und überhaupt gar nicht anfangen sollten, im Meeresgrund nach Öl und Gas zu suchen und zu bohren, sondern unser Wirtschaftssystem dahingehend umbauen, dass es auf erneuerbaren Energien basiert. Es zeichnet sich auch nicht ab, dass es irgendwelchen technischen Fortschritt gibt. Das würde auch nur das Problem der Sprengungen lösen, nicht das mit den fossilen Energien. 

 

Gibt es bestimmte Regionen, die besonders von Unterwasserlärm betroffen sind?

 

Ja, es gibt die Hauptschifffahrtsrouten. Sie ziehen sich durch den Nordatlantik, Pazifik, die Nordsee und das Mittelmeer. Dann gibt es die industriellen Zonen, wo es vor allem extrem viel Förderung von Offshore-Ressourcen gibt, also Windkraft, Öl, Gas. Das ist vor allem beim Golf von Mexiko und auch in der Nordsee der Fall. Lärm durch militärische Übungen gibt es beispielsweise in den US-Gebieten, aber auch im russischen Gewässer und im chinesischen Pazifik.

Rohstoffe oder Energie, die durch Anlagen auf dem Meer mit erheblichem Abstand zur Küste gewonnen werden (z.B. Ölplattformen).

Wie sensibel sind Unternehmen aus den Bereichen Schifffahrt, Öl- und Gasförderung für die Problematik?

 

Relativ gering. Also mir wäre nicht bekannt, dass dort wirklich ernstzunehmende Maßnahmen ergriffen werden, um das Problem zu bekämpfen. Eines der größten Probleme an Meeren und an der Tiefsee ist, dass dieser Bereich sehr schwer zu kontrollieren ist. Es handelt sich einfach um eine riesige Fläche, die noch dazu schwer zugänglich ist für Umweltorganisationen wie uns. Deshalb ist es sehr schwierig, Verbrechen zu dokumentieren und die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Wir haben natürlich unsere Schiffe, aber wir können nicht auf allen Weltmeeren, bei allen Sprengungen, bei allen Fischerbooten, bei allem gleichzeitig mit dabei sein.

 

Wie versucht ihr dann dem Problem entgegenzuwirken?

 

Wir fordern vehement ein, dass das UN-Meeresschutzabkommen konsequent umgesetzt wird. Das ist 2023 von der UN verabschiedet worden, bisher leider noch nicht von genügend Staaten ratifiziert worden, leider noch von keinem einzigen europäischen Staat. Das ist eine unserer Forderung, dass die neue österreichische Regierung das möglichst zeitnah umsetzt. In diesem Abkommen wird gefordert, dass bis 2030 30 Prozent der Meeresfläche unter konsequenten Schutz gestellt werden. Dieses Ziel zu erreichen ist in unseren Augen absolut notwendig. Momentan sieht es da aber noch nicht so gut aus. Wir sind bei ungefähr einem Prozent der Meeresoberfläche, die unter Schutz steht und selbst in diesem einen Prozent gibt es leider nicht die erforderlichen Kontrollmechanismen und Maßnahmen, die nötig wären, um Aktivitäten, die nicht erlaubt sind, zu unterbinden.

 

Es ist schon schwierig, Menschen davon zu überzeugen, gemeinsam der globalen Erwärmung entgegenzuwirken. Wie versucht ihr die Öffentlichkeit zusätzlich dazu auf das Thema Unterwasserlärm aufmerksam zu machen und sie zu motivieren etwas dagegen zu unternehmen?

 

Das Thema Unterwasserlärm lässt sich nicht isoliert betrachten, denn die Probleme in unseren Meeren sind eng mit der Klimakrise und dem Verlust der Artenvielfalt verbunden. Diese Mechanismen greifen ineinander. Wer sich gegen die Klimakrise einsetzt und für einen besseren Umgang des Menschen mit der Natur kämpft, setzt sich automatisch auch für leisere und saubere Ozeane ein und spricht sich beispielsweise gegen den Tiefseebergbau aus. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar.

Die Meere spielen außerdem eine entscheidende Rolle als CO₂-Speicher. Sie binden enorme Mengen Kohlendioxid und sind daher essentiell für den Kampf gegen die Erderwärmung. Dieser Aspekt verdeutlicht, wie abhängig wir von intakten Meeresökosystemen sind – und warum wir sie schützen müssen.

Um die Öffentlichkeit für das Thema Unterwasserlärm zu sensibilisieren und zum Handeln zu motivieren, setzen wir auf mehrere Ansätze. Ein zentraler Punkt ist Bildung und Information. Das Thema gehört in jede Klimabildung und jede naturwissenschaftliche Ausbildung. Menschen müssen verstehen, welchen Einfluss wir auf die Meere haben und welche Folgen das hat. Gleichzeitig brauchen wir mehr Forschung, denn obwohl wir einiges über die Auswirkungen von Unterwasserlärm wissen, gibt es immer noch viele Wissenslücken, die geschlossen werden müssen.

 

Wie optimistisch sind Sie persönlich, dass das Problem rechtzeitig gelöst werden kann?

 

Gute Frage. Die nächste UN-Ozeanschutzkonferenz findet im Juni 2025 statt. Wenn bis dahin 60 Staaten den Meeresschutz-Vertrag ratifiziert haben, wäre das ein enorm starkes Zeichen, da er dann in Kraft tritt. Das stimmt mich relativ optimistisch. Falls dies jedoch nicht gelingt, wird die Lage schwieriger.

 

Was kann jede:r von uns gegen Unterwasserlärm tun?

 

Werdet selbst aktiv, unterstützt Organisationen, die sich mit dem Thema Unterwasserlärm beschäftigen. Schreibt direkt an eure Abgeordneten, macht Druck, oder gründet eigene Initiativen und Verbände. Fragt auch bei Unternehmen nach: Wie geht ihr eigentlich mit dem Thema um? Und übertragt das, was viele von uns in der Umweltbewegung an Land tun, einfach auf die Meere: informiert euch, sprecht mit anderen darüber, werdet Multiplikator:innen. Jede und jeder kann etwas beitragen, um das Thema voranzutreiben.

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