#pflegekrise

"Wir schaffen es nicht auf uns selbst zu schauen."

Ein Text von Maximilian Passruck

Dauer: 15 min.

Der Pflegenotstand in Österreich ist aktuell ein viel besprochenes Thema. Die Bevölkerung wird immer älter und gleichzeitig geht ein großer Teil des Pflegepersonals in den nächsten 10 Jahren in Pension. Doch wie geht es dem Personal in dieser Situation und wie schaut man trotzdem optimistisch in die Zukunft? Ich habe mich dazu mit Carina Köck-Rieder zu einem Gespräch getroffen. Sie ist Bereichsleitung der Pflege im Pflege- und Betreuungszentrum Tulln und arbeitet seit 2011 im Pflegebereich.

Wie schwierig ist die Situation bei Ihnen im Haus momentan?

 

Wir haben aktuell Glück, dass wir relativ viele Bewerber haben. Aber was ich schon sehe ist, dass die zu pflegenden Personen immer mehr werden und das Fachpersonal immer weniger. Es gehen gerade viele in Pension und andere Institutionen fangen an, Leute abzuwerben. Das merkt man auch bei den Pool-Diensten, die wir nach 3 Monaten übernehmen könnten. Die wollen dann nicht übernommen werden, weil man beim Land zu wenig verdient.

 

Wie wirkt sich das auf die Arbeit aus?

 

Ich glaube, dass das größte Thema ist, dass der Mitarbeiter an der Basis überbleibt. Der muss immer mehr leisten und brennt irgendwann aus. Und natürlich fangen die Leute
keine Ausbildung an, wenn sie wissen, dass es gerade nicht gut ist um in der Pflege zu arbeiten. Ich glaube auch, dass da in der Zukunft das Thema liegen wird, wie soll ich Stellen besetzen, wenn ich keine Leute nachbekomme? Ich empfinde das generell so, dass man das nimmer aufrechterhalten kann und generell alles zusammenbrechen wird.

 

Hat die aktuelle Situation auch Auswirkungen auf Ihr Privatleben?

 

Ich habe ja schon ein Burnout hinter mir, als ich noch nicht so lange in der Pflege gearbeitet habe. Da habe ich gelernt, wirklich auf mich aufzupassen und mich auch abzugrenzen. Deswegen glaube ich nicht, dass ich da irgendwann wieder so tief drinnen sein werde wie ich´s mal war und will das auch gar nicht. Und meine jetzige Position will ich im Moment auch gar nicht mehr hergeben (lacht). Jetzt kann ich meine Freizeit so gestalten wie ich will, und im Turnus-Dienst war das nicht so und extrem stressig.

 

Was hat zum Burnout geführt?

 

Ich habe in der Hauskrankenpflege begonnen, da war das Stresslevel ein ganz anderes. Man steht permanent unter Druck, ständig läutet das Handy und man muss schon wieder weiter. Danach bin ich Stationsleitung geworden und habe um die 70 Stunden in der Woche gearbeitet. Daneben hatte ich dann kaum Zeit für meinen kleinen Sohn und dementsprechend auch Schuldgefühle. Und dann ist irgendwann gar nichts mehr gegangen. Aber ich glaube das ist auch ein Lernprozess. So jung und frisch in dem Beruf glaubt man, die Welt verändern und alles besser machen zu können. Aber mit der Zeit lernt man, dass auch jeder kleine Schritt etwas bewirkt und man nicht für alles alleine zuständig ist.

 

Wenn Sie an die Zeit und das Burnout zurückdenken, was haben Sie für sich selbst mitgenommen?

 

Achtsamkeit und auch, dass ich Warnsignale erkenne. Zum Beispiel, dass ich Urlaub oder eine Auszeit und im Zweifelsfall einen Krankenstand brauche um mich zu erholen.
Viele schimpfen deswegen immer über die Jungen, die frisch von der Schule kommen, aber ich glaube die haben schon eine ganz andere Einstellung dazu. Die fühlen besser in sich hinein und wissen wann es genug ist und wann sie auch nicht mehr geben können. Und diese Distanz einzuhalten und auf sich selbst zu schauen ist das wichtigste in unserem Beruf.

 

Würden Sie sagen, dass Ihr Beruf für Sie mehr als ein Beruf ist?

 

Ja! Aber ich glaube, wenn ich nicht ein Mensch wäre der das mit Herzblut machen würde, würde ich mich da natürlich auch nicht so reinhängen. In der Pflege hat man so viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln, ob das jetzt ein zusätzliches Studium oder auch die Intensivpflege ist. Das finde ich einfach schön!

 

Warum wollten Sie in die Pflege gehen?

 

Ich bin eigentlich mit ganz falschen Vorstellungen in die Pflege gegangen. Ich habe gedacht, dass eher so medizinische Tätigkeiten meine Aufgabe sind und dass die Pflege eine eigene Profession ist habe ich erst in der Krankenpflegeschule gelernt. Aber ich habe immer sehr gern mit Menschen zusammengearbeitet. Ich fühle mich auch in der Geriatrie beheimatet, weil ich finde, dass da die Menschen sehr viel zurückgeben. Man kann sehr viel aus dem, was sie erlebt haben, lernen.

 

Nach der Ausbildung hat man ja manchmal Vorstellungen von einer Arbeit und ist dann aber mit einer Realität konfrontiert, die anders ausschaut. Wie war das bei Ihnen am Anfang?

 

Ich war einfach nur schockiert, weil ich es mir einfach nicht so vorgestellt hat. In den Praktika hat man immer nur ein bisschen was gesehen, aber nicht wie es dann wirklich rennt. Als Schüler ist man eigentlich zusätzlich da und unterstützt um etwas zu lernen, aber wenn ich das dann alles selber machen muss ist das schon schwierig. Und sich dann abzugrenzen und zu sagen ich habe meinen eigenen Anspruch und kann den aber gar nicht erfüllen, ist dann schon ein Problem.

 

Haben Sie da auch mal an der Berufswahl gezweifelt?

 

Ja, das hab ich schon öfter! (lacht laut) Aber hilft nichts, es wird immer die Pflege bleiben.

 

Wie geht man dann damit um, wenn man seine Ansprüche hat und in der Realität Abstriche machen muss?

 

Das ist ein Lernprozess. Man setzt sich da selbst unter Druck. Ich weiß noch wie ich früher vom Dienst heimgefahren bin und mein Kopf nur gerattert hat wegen den Sachen die ich vergessen habe. Aber das Thema ist ja, dass ich nicht schuld bin bei den Dingen die nicht funktionieren, weil ich zu viel Workload habe. Da ist das System schuld. Das muss man einfach mal verinnerlichen und mit der Zeit lernt man auch Abstriche zu machen, die nicht zulasten der Bewohner gehen.

 

In welchen Bereichen unterscheidet sich das eigene Bild
vom Job von der Realität?

 

Ich glaube bei der Zeit direkt am Bewohner. Als Pflegekraft habe ich nicht die Zeit um mich hinzusetzen und drei Stunden mit ihnen Karten zu spielen, das geht nicht. Das
ist glaub ich auch ein Thema für die Angehörigen. Die sehen die Pflegekräfte draußen stehen und Kaffee trinken aber dass die eh 12 Stunden da sind und nur am Rennen sind sehen sie nicht. Ich glaube, dass das jede Pflegekraft trifft, wenn sie dann da beanstandet wird.

 

Ist der Umgang mit den Angehörigen teils schwieriger als mit den Bewohner*innen?

 

Zum Teil. Wir merken schon, dass die Angehörigen immer fordernder werden. Ich glaube, dass sie oft Schuldgefühle haben, die Angehörigen im Stich zu lassen und wir jetzt
alles richten was sie davor nicht geschafft haben. Um das in einem Gespräch aufzuarbeiten hat man oft keine Zeit, dann gibt man im Stress vielleicht noch eine flapsige Antwort und dann ist es schon geschehen.

 

Hat es irgendwelche Erlebnisse mit den Bewohner*innen gegeben, die Ihre Einstellung zur Arbeit verändert hat?

 

Der erste Todesfall war ein richtig prägendes Erlebnis für mich. Ich habe nicht damit gerechnet, dass man nicht nur den sterbenden Bewohner betreut, sondern immer auch die Angehörigen. Das ist etwas sehr Herausforderndes. Und gerade bei Bewohnern, die man über Jahre hinweg betreut hat nimmt man sich dieses Packerl auch mit heim. Man kann nicht einfach einen Cut machen, weil da auch eine Bindung da ist.

 

Wie geht man dann innerhalb vom Team mit solchen
Todesfällen um?

 

Es gibt die Möglichkeit von Supervision, die auch regelmäßig angedacht ist. Außerdem gibt es Einzelcoachings, bei denen sich die Leitung mit der jeweiligen Person Zeit nimmt für ein Gespräch, wenn sie erkennt, dass sie damit nicht umgehen kann. Innerhalb vom Team versucht man sich auch aufzubauen, aber jeder geht damit ja anders um.

 

Hat die Nähe zum Tod Ihren Blick aufs Leben verändert?

 

Auf alle Fälle! Ich habe das auch schon öfter mit meinem Gatten besprochen, weil er für lebensverlängernde Maßnahmen ist. Ich will das auf keinen Fall! Ich weiß wie das sein kann, wenn man auf der Schwerstpflege oder Intensivstation liegt, beatmet wird und nichts mehr vom Leben hat. Das möchte ich auch für meine Eltern nicht. Generell habe ich schon alles ganz genau durchgedacht, was ich mache, wenn sie pflegebedürftig werden. Aber ich glaube da bin ich nicht die einzige in dem Beruf. (lacht)

 

Gibt besondere Momente mit den Bewohnerinnen, die sie besonders schätzen?

 

Zum Beispiel die Geburtstagsfeiern und generell Feste wie Weihnachten. Als mein Sohn noch klein war ist er immer mit hereingekommen und hat mitgefeiert. Das ist eine richtig familiäre Zusammenkunft!

 

Die Pflege hat in den letzten Jahren auch durch das
Aufdecken von Missständen in Pflegeheimen mediale Aufmerksamkeit bekommen. Glauben Sie, dass diese Probleme auch von der Politik wahr- und ernstgenommen werden?

 

Ich glaube von den Ländern schon. Die haben auch Überprüfungsorgane geschaffen und den Fokus auf
diese Missstände gelegt. Natürlich darf es Gewalt in der Pflege nicht geben, auf keinen Fall. Aber ich glaube, dass das Stresslevel beim Personal so hoch ist, dass oft ein Wort zum anderen und schlussendlich zu einem Streit führt.
Einfach weil sie nicht mehr können. Da müsste man mal ansetzen, aber ich glaube nicht, dass die Politik das so sieht.

Je weiter ich auf der Karriereleiter nach oben komme, umso mehr geht es nur um Zahlen und die Bewohner und Mitarbeiter werden zur Nummer. Da stellt sich nur die Frage, wieviel Auslastung ich habe und das wars.

 

Was macht das mit einem, wenn man dann selbst in diese Positionen kommt?

 

Man kommt ins Grübeln. Man denkt sich „für das habe ich die Ausbildung nicht gemacht“. Umgekehrt gibt es aber auch immer wieder Erlebnisse, für die es sich lohnt zu
kämpfen. Aber ich glaube die Politik macht auch deswegen nichts, weil es die Pflege generell nicht schafft zusammenzuhalten. Wir schaffen es ja nicht einmal
eine eigene Kammer zu bilden. Wir sind ja alle ach so
sozial aber schaffen es nicht auf uns selbst zu schauen. Also warum sollte sich etwas verändern, wenn es auch so geht.

 

Sitzt die Pflege wegen ihrer Notwendigkeit nicht
eigentlich an einem stärkeren Hebel, beispielsweise bei Streiks?

 

Wir haben gesehen, dass bei diesen Streiks von uns glaub ich 10 Hansln draußen waren. Da war es wichtiger bei den Bewohnern zu sein, aber dass wir gemeinsam etwas erreichen interessiert keinen. Und dann werden wieder höhere Gehälter gefordert. Aber dass man für etwas kämpft? Ich weiß nicht woran das liegt.

 

Gibt es in der Politik auch Parteien oder Personen, bei
denen Sie das Gefühl haben ernstgenommen zu werden?

 

Die Frau Teschl-Hofmeister. Man hat das Gefühl, dass sie einem zuhört, wenn man mit ihr redet. Die kommt auch mal vorbei, wenns nicht für ein Foto ist (lacht). Das ist
aber auch die Einzige die mir jetzt einfällt.

 

Ist das nicht frustrierend, wenn es da nur eine Person
gibt, bei der man das Gefühl hat, dass sie zuhört?

 

Ja das stimmt. (denkt nach). Ich glaube, das ist auch der Grund warum es in der Führungsebene so viele Wechsel gibt. Die probieren zwar etwas zu ändern, aber irgendwann ist man mürbe und will nicht mehr.

 

Für welche Momente zahlt es sich trotzdem aus,
weiterzukämpfen?

 

Wir haben zum Beispiel einer Bewohnerin auf der Hospiz ermöglicht, noch ein letztes Mal mit einem Schiff fahren zu können. Oder auch, wenn wir mit den Bewohnern mit dem
Tulli-Express fahren und sie dann auch draußen sind. Generell ist das Haus trotz der Größe sehr familiär. Man hat nicht das Gefühl, zur Arbeit zu gehen, sondern von der einen Familie zur anderen.

 

Schauen Sie optimistisch in die Zukunft?

 

Würde ich schon sagen. Ich glaub der Pflegenotstand ist im Moment das Wort schlechthin. Aber ich denke es gibt viel Potenzial daraus zu lernen. Man muss jetzt schauen, wie
man das am besten meistert aber der Notstand ist kein Freifahrtschein Garnichts mehr zu machen und die Leute nicht mehr zu pflegen. Man muss seine Arbeit machen und im Management haben sie jetzt die Aufgabe wie die Pflegequalität weiterhin stimmen kann.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Pflegeberufs?

 

Mehr Pflegekräfte auf alle Fälle! Auch, dass man endlich die Tätigkeitsfelder fixiert und nicht alles ständig verändert, dass dann niemand mehr weiß für was er zuständig ist.
Ich finde es ist im Moment nur Chaos. Zum Beispiel wurde mit der Pflegeassistenz ein Zwischending geschaffen hat, bei dem sich aber keiner weiterführende Gedanken gemacht hat. Außerdem braucht es auch viel mehr
Betreuungsplätze speziell für Menschen mit Demenz oder auch mehr Tageskliniken. Generell mehr niederschwellige Angebote.

 

Sind die Wünsche realistisch?

 

Jein. Ich glaube, solange sich in der Politik nichts ändert ist das unrealistisch.

 

Und glauben Sie, dass sich in der Politik bald was ändert?

 

Glaub ich nicht. Aber gewünscht wäre es, sag ich mal. (lacht)

 

Vielen Dank für das Gespräch!

Gerne!

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