#technometoo
"Es war wichtig, dass endlich Namen genannt worden sind."
Ein Text von Felix Kohlschütter
Dauer: 9 min.
Sophie Engelmaier ist Mitbegründerin des DJ-Kollektivs „RaveOnSociety“ und veranstaltet regelmäßig Events und Raves in Wien. Neben Eigenevents zählen auch Club-Hostings zum Alltag. Im Interview mit Laut & Leise zieht sie ein Fazit über die Wiener Techno-Szene, ein Jahr nach #TechnoMeToo. Was hat sich verändert, was muss sich noch ändern und hat die mediale Aufmerksamkeit geholfen, ein neues Bewusstsein in der Szene zu etablieren?
Im Herbst 2023 rückte die Wiener Techno-Szene durch die #MeToo-Debatte in den Fokus, nachdem mehrere Frauen öffentlich Vorwürfe zu sexueller Belästigung und Machtmissbrauch gegen etablierte Akteure der Szene erhoben hatten. Die Diskussion entfachte eine breite Debatte über die Strukturen und den Umgang mit Machtpositionen in Clubs und Veranstaltungsräumen. Viele Clubs und Veranstalter sahen sich gezwungen, Stellung zu beziehen, Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen und ein sichereres Umfeld für Besucher:innen und Künstler:innen zu schaffen.
Vor ca. einem Jahr ging #TechnoMeToo durch die Medien. Zahlreiche Frauen erhoben öffentlich Vorwürfe von sexueller Belästigung und sexuellem Missbrauch gegen Veranstalter, Clubbesitzer und DJs in der Wiener Techno-Szene. Wie hast du das damals persönlich erlebt und was waren deine ersten Reaktionen dazu?
Es ist einfach unglaublich wichtig, dass dieses Thema beleuchtet worden ist. Dadurch ist eben genau dieser strukturelle Machtmissbrauch einmal öffentlich gemacht worden, der sich bis dahin eher im Verdeckten abgespielt hat. Aber es soll ja nicht nur die Aufmerksamkeit auf diese Probleme gelenkt werden, sondern es sollen Täter auch zur Rechenschaft gezogen werden und da muss sich definitiv noch viel tun.
Im Oktober 2024 wurde ein bekannter Wiener DJ zu 32 Monaten teilbedingter Haft wegen Vergewaltigung verurteilt. Auch dieser Fall kam im Zuge von „Techno Me Too“ an die Öffentlichkeit. Wie würdest du das Bewusstsein in der Szene nach dem letzten Jahr einschätzen? Wie sind deine persönlichen Erfahrungen?
Also ich persönlich bin bisher zum Glück noch relativ selten in unangenehme Situationen gekommen, aber natürlich habe ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis sehr viele Personen, die sexuelle Übergriffe erfahren mussten. Es kommt auch oft auf die Clubs drauf an. Auch wenn „Techno Me Too“ sich in erster Linie auf die Techno-Szene konzentriert, sind davon generell alle Clubs, also auch im Mainstream-Bereich, betroffen. Grundsätzlich hat sich also, meiner Meinung nach, nicht viel verändert. Wichtig war jedoch vor allem, dass nun endlich auch Namen genannt worden sind. Das ist nämlich den meisten vorher nicht so in dem Maße aufgefallen, also mir auch nicht, dass da wirklich große Veranstalter und Clubbesitzer mit drinhängen. Es waren jetzt nicht nur mehr „irgendwelche“ Betrunkenen, sondern bekannte und einflussreiche Persönlichkeiten. Und deswegen ist das dann in der Öffentlichkeit so explodiert wie eine Bombe.
Im Rahmen der #TechnoMeToo-Bewegung meldeten sich fast 100 Personen, die von Übergriffen in der Wiener Clubszene berichteten. Diese Vorfälle betrafen hauptsächlich das Personal der Clubszene, was auf ein problematisches Machtgefälle hindeutet. Die genaue Anzahl der beschuldigten Personen wurde aus rechtlichen Gründen nicht veröffentlicht.
Warum, glaubst du, ist das nicht früher an die Öffentlichkeit gekommen?
Also erstens glaube ich schon, dass solche Täter hochgradig manipulative Menschen sind. In Kombination mit den Machtpositionen, in denen sie sich befinden, versuchen sie irgendwie ihr Verhalten zu rechtfertigen und zu verharmlosen. Da geht’s ja nicht um irgendwen, die kennt man in der Szene und die haben (oder hatten) auch wirklich was zu sagen. Ich glaube genau deswegen ist es noch schwieriger an die Öffentlichkeit zu gehen, weil man sich ja gegen Leute äußert, die jeder kennt. Die Täter wissen auch ganz genau, dass viele Opfer dann genau deshalb schweigen. Deswegen ist die Dunkelziffer ja so unglaublich hoch.
Ist es für Betroffene leichter geworden, Vorfälle zu melden bzw. an die Öffentlichkeit zu gehen?
Also erstens ist es mal sehr gut, dass es da jetzt mehr Awareness für das Thema gibt. Es ist immer noch schwer, trotzdem hat sich durch die sozialen Medien hier schon auch etwas verändert. Wenn der Stein einmal angestoßen wird, sprechen immer mehr Opfer über ihre Erlebnisse und können so eine breite Öffentlichkeit erreichen. Zusätzlich gibt es jetzt auch neue Anlaufstellen in der Szene. Das alles trägt dazu bei, dass Täter nicht mehr ganz so leichtes Spiel haben. Es ist auch jetzt die Barriere vielleicht nicht mehr so groß, wie vor einem Jahr. Ich glaube schon, dass es leichter geworden ist, da Personen jetzt zumindest wissen, wo sie sich melden können. Was dann mit diesen Informationen gemacht wird, steht auf einem anderen Blatt, aber es ist wichtig, dass überhaupt darüber geredet wird.
Welche sichtbaren Veränderungen gibt es in Clubs?
Also der wichtigste Punkt sind definitiv die Awareness-Teams, die bei größeren Events und auch schon in einigen Clubs immer häufiger mit dabei sind, die erkennt man meistens an den Lichterketten, die sie tragen. Das sind speziell geschulte Mitarbeiter:innen, die immer als erste Anlaufstelle bei Vorfällen oder Problemen da sind. Ich finde das wird auch gut angenommen von den Besucher:innen. Für mich persönlich sind die Security-Mitarbeiter:innen an der Tür nämlich definitiv nicht die erste Anlaufstelle wenn etwas passiert. Club-Mitarbeiter:innen sollten für die Gäste da sein, genauso wie es Aufgabe des Clubs ist, einen Safe-Space für seine Gäste zu garantieren. Da müssen sich die Besucher:innen einfach auf das Personal verlassen können, nicht nur auf die Security sondern auch auf die Bar, Garderobe usw. Solche Mitarbeiter:innen zu beschäftigen, sollte eigentlich eine Aufgabe für jeden Club sein, egal ob in der Techno- oder Mainstream-Szene. Die sollten eben aktiv hingehen und nachfragen. Das gibt den Besucher:innen das Gefühl, dass sie gesehen werden und das wäre schon ganz viel Wert.
Awareness-Teams in Techno-Clubs sind geschulte Personen, die vor Ort sicherstellen, dass alle Gäste in einer respektvollen und sicheren Umgebung feiern können. Sie dienen als Ansprechpersonen, falls jemand Diskriminierung, Belästigung oder Übergriffe erlebt oder beobachtet.
Was könnte man auf Veranstalter- und Clubbasis noch verbessern?
Ein großes Problem ist schon auch, dass sich viele Personen nicht trauen, zu den Awareness-Teams zu gehen und einen Vorfall aktiv anzusprechen. Hier wäre es, glaub ich, schon sehr wichtig, dass das Personal auch präventiv die Augen offenhält. Ebenso wäre es gut, wenn es echte Möglichkeiten geben würde, sich online bei den zuständigen Personen zu melden, wenn etwas passiert ist oder wenn man etwas gehört hat. Da hört man auch oft von Leuten, die dann einfach ignoriert wurden. Man muss sich schon auch fragen, wie es sein kann, dass jemand an einem Abend zehnmal belästigt wird. Da funktioniert irgendwas nicht. Natürlich ist es schwierig das im Nachhinein dann nachzuverfolgen aber die größte Hürde ist glaube ich schon, dass Betroffene sich generell melden und da müssen die Barrieren so niedrig wie möglich sein.
Sind also Awareness-Teams nur ein Tropfen auf den heißen Stein?
Das ist natürlich schwer zu sagen, weil ich schon glaube, dass die Dunkelziffer nach wie vor extrem hoch ist. Da fallen eben alle Formen der sexuellen Belästigung rein und das ist leider an der Tagesordnung. Aber auch nicht nur in der Nachtszene, sondern das ist ein generelles Problem. Trotzdem sind die Awareness-Teams sehr wichtig und ich glaube schon, dass das seinen Teil dazu beiträgt, dass weniger passiert. Aber die Kommunikation zwischen den Mitarbeiter:innen muss besser funktionieren. Und um Situationen im Vorhinein zu erkennen, sind einfach spezielle Schulungen sowie ein besonderes Bewusstsein nötig und da sehe ich noch Handlungsbedarf. Auch die Konsequenzen für Täter sollten spürbar sein, weil momentan gibt es häufig einfach keine. Das ist sicher auch ein Grund, warum sich da insgesamt wenig ändert. Eine absolute Zero-Tolerance-Policy und Geldstrafen beispielsweise würden die Ursache zwar nicht beheben, aber es wäre zumindest ein wichtiges Signal und vielleicht hätte das schon eine positive Wirkung. Aber da wird einfach immer noch viel zu viel relativiert, besonders wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind.
Also sollte sich auf Club-Ebene eine härtere Gangart und eine konsequente Durchsetzung der Hausregeln etablieren?
Ja, voll. Ich glaube das wäre sehr wichtig. Natürlich ist das in der Theorie immer einfacher als in der Praxis, aber wahrscheinlich wäre es schon umzusetzen, wenn der Wille da ist. Aber es macht halt irgendwie trotzdem niemand. Ich glaube auch, dass noch viel zu wenig Bewusstsein für vermeintliche „Kleinigkeiten“ da ist. Es muss nicht immer zum äußersten kommen, damit man sich unwohl und bedrängt fühlt. Das sind oft auch Situationen, die manche Security-Mitarbeiter gar nicht nachvollziehen können und deswegen auch nur halbherzig durchgreifen.
Die Technokultur in Wien entstand in den frühen 1990er-Jahren als Teil der globalen Rave-Bewegung und entwickelte sich in alten Industriegebäuden, Kellern und alternativen Veranstaltungsorten.
Welche Maßnahmen könnt ihr mit RaveOnSociety als Veranstalter umsetzen?
Bei Eigenevents schauen wir zuallererst natürlich auf die Community, also wer ist dabei und wer nicht. Und dann ist es ganz wichtig, dass man auch im Auge behält, wie sich so ein Abend entwickelt. Da sind wir natürlich auf die Clubs angewiesen, da wir keine Mitarbeiter:innen in dem Sinn haben. Wir hatten einmal den Fall, das eine Besucherin belästigt wurde und daraufhin Probleme mit dem Security-Personal hatte. Wir haben uns dann mit der Person in Verbindung gesetzt und haben den Sachverhalt aufgeklärt und an die Clubleitung weitergegeben. Die Besucherin war uns wirklich sehr dankbar dafür. Genau solche Sachen sind, glaube ich, wichtig. Auch wichtig ist, dass Meldungen ernst genommen werden. Da müssen dann auch wirklich Maßnahmen gesetzt werden. Die Dinge müssen ernst genommen werden, es muss ihnen auf den Grund gegangen werden und die Täter wirklich ausfindig gemacht werden. Raves sollten einfach ein Freiheitsgefühl mit einem Sicherheitsgefühl verbinden. Wenn alle mehr aufeinander schauen, kann die Szene definitiv wieder sicherer werden.
Solltest du selbst betroffen sein, kannst du dich an folgende Stellen wenden:
Frauenhelpline (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 222 555
Gewaltschutzzentren (anonym und kostenlos): 0800 / 700 217
Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, vertraulich und kostenlos): 142