All you need is … less

Frau auf einer Terasse beim Frühstück

All you need is … less

von Eva E. Zecha

Einmal alles liegen und stehen lassen, unnötigen Ballast abwerfen, aus der täglichen Routine ausbrechen und sich dahin aufmachen, wie es einem in den Sinn kommt. Diesen Wunsch hat vermutlich schon jeder einmal gehegt, die täglichen Verpflichtungen, Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten halten uns in der Regel aber davon ab, mehr als einen zwei- oder dreiwöchigen Urlaub in Angriff zu nehmen. Eine junge Steirerin hat sich diesen Traum erfüllt, die bekannten Pfade verlassen und sich über mehrere Kontinente hinweg, in ein siebenmonatiges Abenteuer gestürzt.

Anna Ui, das ist ihr Künstlername, ist Shop-Managerin in einem großen, österreichischen Onlinehandel und auf Marketing spezialisiert. Nach einem Wirtschaftsstudium in Wien und Großbritannien ist Anna mit 24 Jahren als Produktmanagerin bei einer international tätigen Firmengruppe für Dachfenster eingestiegen und war damit die erste Frau in Österreich, die diese Produktgruppe geleitet hat. Nach vier Jahren Berufstätigkeit hat die junge Managerin einen radikalen Schnitt gemacht, alle ihre Habseligkeiten verkauft und ist nach Norwegen getrampt.

Wie es zu diesem ungewöhnlichen Schritt kam, verrät Anna Ui in diesem Interview.

Du hattest einen steilen Karriereeinstieg, warst eine der jüngsten, weiblichen Produktmanager von Dachflächenfenstern in Österreich. Nach etwa vier Jahren hast du deine Zelte in Wien dann abgebrochen und dich auf eine siebenmonatige Reise aufgemacht. Wie kam es dazu?

Ich habe recht schnell gemerkt, dass so eine Konzernumgebung wie es bei Velux der Fall war, nicht das ist, wo ich mich wohlfühle und aufgehe. Die Entscheidungswege sind lang und auch der eigene Handlungsspielraum ist aufgrund der hierarchischen Strukturen eingeschränkt. Das hat sich für mich als zu unflexibel herausgestellt. Nach meiner ersten Asienreise kam ich dann an den Punkt wo ich mir dachte: Simplicity – und alles Zeug weg. Ich habe dann meine Wohnung gekündigt, alle meine Sachen verkauft und habe mit meinen zwei Taschen erst einmal in Wien nomadisch gelebt. Einmal ist eine Freundin nach Indien gegangen, da bin ich in ihre Wohnung gezogen, danach habe ich woanders einen Unterschlupf gefunden. Es hat sich immer etwas ergeben.

In meinem letzten Jahr in Wien habe ich dann bei Shpock gearbeitet, als das Unternehmen noch ein Start-Up war. Diese Zeit war sehr intensiv und wie eine 7-Tages-Woche. Ich habe gewusst, dass ich so etwas nur auf Zeit machen kann. Zum Ende hin hatte ich dann den starken Drang aus dem Ganzen auszubrechen und aus Wien wegzugehen. Da habe ich dann meine Reise mit der ersten Etappe nach Norwegen gestartet.

Diese Reise hast du dann ja mit absolutem Low-Budget gemacht, oder?

Ich habe mir schon etwas angespart, aber ich wollte es mir nicht so leicht machen und einfach nach Norwegen fliegen. Deswegen bin ich von Wien weg per Autostopp nach Norden getrampt, um langsam ans Ziel zu kommen und den Weg zum Ziel zu machen. Ich muss sagen, das war für mich eine riesige Überwindung, mich an die Straße zu stellen. Man weiß, dass einen vielleicht jeder 200ste tatsächlich mitnimmt, das hat sich angefühlt wie Ablehnung. Selbst wenn ich es dann noch dreißigmal gemacht habe, war es immer wieder eine Überwindung. Aber ich habe damit wirklich schöne Erfahrungen gemacht, egal ob es Männer waren, die stehen geblieben sind, oder Frauen. Es war nur positiv, wie auch die Geschichten, die ich dabei mitgenommen habe.

© Anna Ui
Warum hast du dir gerade Norwegen als Ziel ausgesucht? Du hast dort dann gut zwei Monate verbracht, was hast du in dieser Zeit gemacht?

Mein eigentliches Ziel war die Inselgruppe der Lofoten. Ich war dort hauptsächlich wandern und zelten. Mein Fokus lag darauf, ganz minimalistisch in der Natur unterwegs zu sein. Dazu inspiriert hat mich unter anderem die französische Surferin Léa Brassy, deren Blog ich schon einige Zeit gefolgt bin, und die in den Lofoten surfen war. Was mich gerade an den Lofoten so fasziniert hat, ist dieser direkte Kontrast von Meer und Bergen. Ich habe Zuhause dann noch von einem Projekt gelesen, bei dem eine Gruppe von jungen Leuten aus Strandgut und angeschwemmten Müll ein Haus am Strand gebaut hat. Dieses Haus habe ich gefunden, man kann dort sogar übernachten.

So schön Norwegen ist, so teuer ist es aber leider auch. Ich habe immer gewusst, wenn ich zu einem gewissen Budgetrahmen komme, dann muss ich Richtung Asien aufbrechen. Ich habe es mir aber offengelassen. Wenn ich in Norwegen einen Job gefunden hätte, oder wenn es mir an einem Ort besonders gut gefallen hätte, wäre ich auch länger an einem Ort geblieben. Das hat aber irgendwie nicht so funktioniert, auch weil Norwegen nicht bei der EU ist. Daraufhin bin ich dann nach Asien aufgebrochen.

Was war dann dein Plan auf deiner zweiten Etappe in Asien?

In Asien lag mein Fokus weniger auf dem Reisen, als auf kreativem Austausch und Weiterbildung. Ich habe mich dort bewusst in ‚Coworking Spaces‘ gesetzt und mich in Web-Development, UX-Design und App-Programmierung eingelesen bzw. eingearbeitet. Das Thema hat mich schon länger interessiert, auch weil ich mir vorstellen hätte können, in diesem Bereich selbstständig zu werden.

Dafür war Asien der perfekte Ort: niedrige Lebenskosten und eine junge, offene und kreative Szene, vor allem in diesen ‚Coworking Spaces‘ und ‚Creative Hubs‘. Das hat mir richtig Spaß gemacht und ich habe mir in dieser Zeit enorm viel aneignen können. Ein einschneidendes Erlebnis war dann auch ein TEDx-Vortrag, den ich mir dort angeschaut habe. Der hieß „Live is easy“ von Jon Jandai. Ich war kurz in Thailand und dieser Vortragende hat in der Nähe gewohnt. Er bricht dabei auf geniale Art und Weise herunter, wie sehr wir uns eigentlich wie Ameisen in einem Bau bewegen. Mir ist es dort zum ersten Mal wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich ganz sicher nicht mehr in dieses Hamsterrad nach Wien zurückkehren möchte. Ich bin dann noch weiter nach Taiwan gereist, da es dort einen ‚Creativ Hub‘ gibt, der bei Designern und Grafikern sehr beliebt ist. Das war eine sehr inspirierende Umgebung, wo ich mich in Webentwicklung und den unterschiedlichsten kreativen Sachen ausprobiert habe. Als es mir dann in Taiwan zu heiß wurde, bin ich nach Japan weitergeflogen.

Japan war dann nach fast sieben Monaten deine letzte Etappe vor deiner Rückkehr nachhause. Warum gerade Japan?

Ich fand Japan von diesen ganzen ästhetischen Gesichtspunkten und auch deren Kunst und Design äußerst spannend. Dort ließ ich mich wieder stärker durch die Kultur und das Reisen inspirieren, war wieder mehr in der Natur unterwegs. Auch der Kontrast zu dem lauten, hektischen Treiben in Taiwan war sehr spannend. Diese stille und rücksichtsvolle Mentalität der Japaner:innen war fast eine meditative Erfahrung.

Eine Anekdote dabei ist, dass mir in Norwegen beim Hitchhiking auf einer Insel ein Radfahrer begegnet ist, der zu mir gesagt hat: „Wenn du zufällig in Japan vorbeikommst, ich gebe dir meine Nummer.“ Das war ein Australier, der vor 30 Jahren nach Tokio ausgewandert ist. Tokio stand nicht unbedingt auf meiner Reiseliste, aber dadurch, dass mein Rückflug von dort aus ging, habe ich mich dann tatsächlich mit dem Australier getroffen, mitten in Tokio. Das fand ich schon recht spannend.

Du bist alleine gereist, warum das?

Ich wollte das immer allein machen, einerseits kann man sich dadurch aus seiner Komfortzone herausbewegen, andererseits habe ich gemerkt, dass man dadurch ein viel größeres Potential hat, seine Erlebnisse zu reflektieren. Man ist viel offener für neue Einflüsse und lernt Menschen kennen, denen man sonst bestimmt nicht begegnet wäre. Für mich war es wichtig die Freiheit zu haben, genau dem nachzugehen, wonach mir gerade ist. Es steht einem auf diesem Weg auch jederzeit frei, ob man seine Ruhe haben will, oder mit anderen kommunizieren möchte, indem man auf sie zugeht. Oder es passiert andersrum, dass einen einfach jemand anspricht und man dadurch ins Gespräch kommt. So habe ich einige wunderbare, unerwartete Freundschaften knüpfen können.

Was hast du nach deiner Rückkehr gemacht?

Durch diese Reise habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Welt zu meinem Zuhause zu machen und meine Arbeit von dem Ort aus zu machen, wo es mich gerade hin verschlägt. Ganz unabhängig und flexibel. Aber ich habe gemerkt, dass es mir doch wichtig ist, einen Punkt zu haben, an den ich zurückkehren kann. Dass ich mir einen Ort schaffe, an den ich mich jederzeit zurückziehen und verkriechen kann. Und zwar minimalistisch, sowohl von den Quadratmetern her, als auch vom ökologischen Gesichtspunkt aus.

Ich bin dann durch Zufall auf ein kleines Grundstück in der Südoststeiermark gestoßen, das für ein Selbstversorgerdasein perfekt ist. Es steht da ein kleines, altes Häuschen drauf, bei dem ich alles versucht habe, um es zu erhalten, aber dessen Bausubstanz einfach zu schlecht ist. Mir ist bei allem was ich tue sehr wichtig, einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Deswegen möchte ich beim Neubau gerne einen Strohballenbau realisieren, auf Basis von natürlichen, regional verfügbaren Baumaterialien, der dann im Endausbau Passivhaus-Standard hat.

Hast du vor, dein Häuschen selber zu bauen?

Nein, dazu habe ich weder die zeitlichen noch die handwerklichen Ressourcen. Es ist zwar Eigenleistung notwendig, aber zum Beispiel das Holzgerüst und den Holzrahmen wird schon ein Zimmermann aufstellen. Zu dem Thema Strohballenhaus habe ich aber letztes Jahr einen Workshop gemacht und ich bin überzeugt, dass das bei den steigenden Baukosten und auch in ökologischer Hinsicht ein Zukunftsthema werden wird. Kurioserweise haben wir genau hier in Kapfenstein einen Experten für diese Bauweise. Aber es wäre natürlich mein Traum, mit den eigenen Händen mein Haus zu bauen.

© Anna Ui
Hat sich bei dir nach deiner Rückkehr beruflich etwas verändert?

Ich hatte nach meiner Rückkehr die Absicht mich als Web-Entwicklerin selbstständig zu machen, weil hier der Start als Unternehmerin relativ einfach ist, da Grafik-Design ein freies Gewerbe ist. Mein erstes Projekt war dann die Gestaltung eines Onlineauftritts für einen lokalen Bauernladen. Bei der Recherche zur Ideenfindung und Inspiration, habe ich mich auf einer niceshops-Seite bewegt. Aus Interesse habe ich dort auf die Job-Rubrik geklickt und eine Stellen-Ausschreibung für eine Shop-Manager:in gefunden, die mich sofort angesprochen hat und bei der auch das ganze Drumherum gepasst hat.

Nebenbei habe ich dann mit meinen beiden Geschwistern ein Bio-Planzenstärkungsmittel auf Algenbasis für den Hobbygärtnerbereich auf den Markt gebracht. Gemeinsam haben wir alle Kompetenzen in einer Hand, die es für einen Produktlaunch benötigt. Den Durchbruch haben wir leider noch nicht geschafft, aber wir sind immerhin bei einem der größten deutschen Bio-Versandhändler gelistet.

Was hat diese Reise letztendlich bei dir bewirkt?

Also diese Reise hat mich in vielen Belangen wie ich leben will wachgerüttelt. Es hat mein bisheriges Leben komplett auf den Kopf gestellt, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass ich die Stadt zum Leben brauche. Auf der Reise habe ich mich wieder auf meine Wurzeln besinnen können. Ich glaube auch meine allgemeine Zufriedenheit und die Flexibilität, die ich benötige, habe ich am Land gefunden. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich bin eben doch ein Kommunikationsmensch und ich brauche Menschen um mich herum, auch bei der Arbeit.

Ich empfinde es als großes Glück, dass wir hier mitten am Land ein sowohl soziales als auch ökologisch engagiertes Unternehmen haben. Das hat dem Landleben natürlich einen weiteren positiven Aspekt hinzugefügt.

Achtsamkeitstraining über Kopf

Er ist allgegenwärtig, aber doch unbekannt. Die Rede ist vom Handstand.
Elise Missall, Gründerin und Chefredakteurin des weltweit ersten Handstandmagazins ,,The Handstand Press Magazin
e“, spricht über die Vielschichtigkeit des auf den Händen Stehens und wie sich dieser Perspektivenwechsel auf das eigene Leben auswirkt.

Interview von Darja Novak

Es ist schwierig, wenn man das ganze Leben lang auf den Beinen gestanden ist, sich umzudrehen und auf den Händen zu stehen, aber es ist es auf jeden Fall einen Versuch wert!

Elise Missall

Kann jeder Handstand lernen?

Sobald es nichts Physisches gibt, das einen zurückhält – absolut! Es ist allerdings ein langer Prozess, was viele Menschen oft vergessen. Zu mir kommen oft Leute, die sagen: „Kannst du mir in zwei Wochen Handstand beibringen?“, wo man dann einfach sagen muss, bei einem Jahr bist du gut dabei. Aber solange man Lust darauf hat und auch durchgängig übt, kann jeder, egal in welchem Alter, einen Handstand lernen.

Kannst du das Handstandtraining empfehlen?

Unbedingt! Man lernt viel über sich selbst und seinen Körper, weil man in jeden Teil des Körpers reinfühlen können muss, um falsch zu balancieren. Man muss fühlen, wo sich die Hände und Ellbogen befinden, in welchem Winkel die Schultern gebeugt sind, wo die Hüfte ist und was dann schlussendlich auch die Beine machen. Man muss voll in den eigenen Körper reinfühlen und allein das ist super wertvoll.

Siehst du das Handstandtraining wie eine Art sportliche Meditation?

Auf jeden Fall. Es gibt unheimlich viele Gründe, warum Leute Handstände machen, aber dieses aktive Körperwahrnehmen und im Jetzt sein macht es dann schon zu einer Art Achtsamkeitstraining. Wenn man mit dem Kopf wo anders ist, funktioniert es nicht.

Wie oft sollte ein Anfänger Trainieren und wann kann man wirklich von sich aussagen, dass man einen Handstand kann?

Regelmäßigkeit ist key! Am Anfang sind drei-, vier-, fünfmal pro Woche empfehlenswert, wenn man eine gute und schnelle Verbesserung will. Grundsätzlich braucht es ca. 1 Jahr, bis man den Handstand wirklich kann. Ab diesem Zeitpunkt fängt man an, unterschiedliche Formen auszuprobieren und seine Beine zu bewegen. Fortgeschrittene trainieren jeden Tag, mehrere Stunden lang. Es macht nach einer Zeit einfach auch süchtig. 

Regelmäßigkeit ist key!

Elise Missall

Das heißt, Handstandtraining könnte jeden ansprechen und ist für jeden da.

Genau! Die Community ist vor allem facettenreich, weil es so viele verschiedene Menschen anzieht – eher analytische Leute, die für sich selbst trainieren, superkreative Leute, die sich durch Handstand ausdrücken, sehr soziale Menschen, die vor allem gerne mit anderen trainieren und natürlich die, die am Ende damit auftreten wollen. Warum man sich in das Handstandtraining verliebt, ist sehr individuell, und kann aus den unterschiedlichsten Gründen passieren.  Wenn man aber einmal die ersten Sekunden in Balance erlebt hat, gibt es oft kein Zurück. Das Gute am Handstandtraining ist, dass es wirklich nicht viel dazu braucht, lediglich eine freie Wand und einen ebenen Boden. Ansonsten braucht es noch ordentlich Motivation, um lang genug dranzubleiben, bis die ersten Erfolge eintreten.

Wenn man das Wort „Handstand“ hört, denken die meisten einfach nur, salopp gesagt, an „verkehrt herumstehen“. In welchen Sportarten findet man den Handstand und seine Variationen?

Das ist schwierig fest zu machen. Es gibt weltweit unheimlich viele Disziplinen, die den Handstand beinhalten. Zum Beispiel im Zirkus, wo der Handstand als eigene Disziplin drinnen ist, oder beim Crossfit, bei dem Handstandgehen dabei ist. In Gymnastik ist Handstand sehr wichtig. Tänzer und Tänzerinnen brauchen ihn auch, meistens als Übergangselement. Im Capoeira ist er auch ein wichtiger Teil. Es gibt den Handstand echt überall, aber oft ist es nur ein kleiner Teil von einer größeren Disziplin.

Also gilt Handstand nicht als eigene Disziplin?

Doch, im Zirkus ist der Handstand definitiv eine eigene Disziplin, aber es zieht nun auch immer mehr Leute an, die gar nichts mit Zirkus am Hut haben. Das hat auch damit zu tun, dass im Rahmen der sogenannten Movement Culture, der Handstand beworben wurde und immer mehr Leute aus dem Mainstream Fitness plötzlich Handstand und Spagat lernen wollten. Mit der Zeit hat sich daraus dann die Handstand-Szene gebildet, die sich aber natürlich viel am Zirkus orientiert. Es entwickelt sich mehr und mehr dazu, dass Handstand eine eigene alleinstehende Disziplin und ein eigenes Hobby wird. So ist es uns, sowohl wegen der vielen Disziplinen, die Handstand beinhalten, als auch dieser neuen Handstand-Bewegung möglich, ein Print-Magazin zu dem Thema herauszugeben.

Foto: Elise Missall – The Handstand Press Magazine

Wie bist du auf die Idee gekommen, das weltweit erste Handstand Magazin ins Leben zu rufen?

Ich habe im Rahmen meiner Firma Motion Impulse seit 2014 im Bereich Darstellende und Bewegende Kunst als auch im Bereich Fitness immer wieder mit vielen Lehrern zu tun gehabt, die sehr gut Handstand unterrichten können. Mit denen habe ich oft Workshops unterrichtet und dabei geholfen, diese zu organisieren. Mit meiner Onlineplattform Handstand Factory habe ich mich sehr auf zwei Lehrer spezialisiert. Emmet Louis, meinen Lebenspartner, und Mikael Kristiansen, mit denen wir die Handstandprogramme filmen. Dadurch war ich sehr an diese zwei Lehrer gebunden, habe aber gemerkt, dass es so viele spannende Handstandlehrer und Leute auf der Welt gibt, die auch wirklich Interesse daran haben, etwas zu sagen oder ihr eigenes Handstandtraining teilen wollen. Daraufhin wollte ich ein Outlet innerhalb meines Verlagshauses schaffen, das nicht an einen bestimmten Stil gebunden ist wie man Handstand lernen und unterrichten kann.

Das heißt, du wolltest allen die Chance geben, gehört zu werden?

Genau! Ich wollte eine Plattform bieten, auf der alle möglichen Leute Platz finden ihre Meinung zu äußern. Von ihren verschiedenen Herangehensweisen, wie sie entweder selbst Handstand lernen oder unterrichten, bis hin zu ihren Erfahrungen und ihren Schwierigkeiten, die es gibt, wenn man Handstand lernen will. Das war mein Hauptgedanke dahinter, ein Magazin herauszubringen, das generell über Handstand ist. Wichtig war mir, dass darin alle Disziplinen Platz finden und dass Handstand aus verschiedenen Sichtweisen aufgezeigt und gesehen werden kann.

Ich wollte schon immer ein Print-Magazin herausgeben und da hat diese Idee perfekt für mich gepasst. Vor anderthalb Jahren habe ich daraufhin das Postgraduiertenzertifikat für „Creative and Cultural Entrepreneurship“ am Trinity College hier in Irland gemacht und im Zuge dessen die Zeit gehabt mir zu überlegen, wie so ein Magazin denn aussehen soll und ob meine Firma Motion Impulse dieses Projekt tragen kann. Wir wussten von vornherein, dass es nichts ist, womit wir unbedingt Geld verdienen wollen. Unser Ziel war es, dass sich das Magazin bei Ausgabe 03 oder 04 selbst trägt.

Foto: Handbalance 101 – The Handstand Press Magazine

Was war eure Version hinter dem Magazin?

Mit dem Handstand-Magazin wollten mein Team und ich genau die Entwicklung des Handstandes zu einem eigenen alleinstehenden Hobby aufgreifen und die Handstand-Szene noch weiter voranbringen. Wir wollen vor allem die Community ansprechen, die sich nur um den Handstand herum entwickelt. Es gibt so viele verschiedene Facetten des Handstandtrainings und Arten von Leuten, die es machen, dass wir uns gedacht haben, dass es auf Papier gebracht ein unglaublich spannender Einblick wäre. Besonders für Leute, die im Internet bei sich zu Hause trainieren und eine Community suchen. Gerade in der Pandemie haben sehr viele Leute mit dem Handstandtraining begonnen, weil man dafür, wie gesagt, nicht viel Platz und kein Equipment braucht und viele gezwungenermaßen viel Zeit hatten. 

Hat es dich nicht etwas abgeschreckt, dass das Magazin nur so eine kleine Nische anspricht?

Nein, weil ich das Potential dieser Nische gesehen habe! Es gibt zwar andere Zirkus-Magazine und viel über das Jonglieren, allerdings gibt es die meisten davon nicht mehr, weil die Nachfrage nach Print in den letzten zehn Jahren immens abgenommen hat. Ich habe aber die Hoffnung, dass es ein Revival geben wird in Richtung mehr haptischer Gegenstände und nicht alles online ist. In diesem Rahmen habe ich mich mit mehreren Freundinnen in Verbindung gesetzt, die auch im gleichen Bereich arbeiten. Unter anderem Sonja von Handstand Diary, die eine Art Online Videojournalismus macht und verschiedene Handstandlehrer interviewt hat. Wir haben dann gemeinsam unsere Grafikdesignerin sowie unsere Social Media Managerin gefunden, die ebenfalls beide Handstand machen. Ich habe versucht ein Team zu finden, das sowohl Handstand als Hobby oder als Beruf hat und gleichzeitig gut in Grafik-Design, Interviews führen und Social Media Management ist. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das allein machen kann, aber mit diesem Team von Frauen kriegen wir das hin! 

Wer steht hinter dem Magazin?

Wir haben mich und dann noch drei Leute, die bezahlt werden. Zum Team gehören Sonja Smith-Novak, unsere Redakteurin, Katie McKenney, unsere Layout-Designerin und Emma Dybenko, die für unser Social Media zuständig ist. Wir leben alle in verschiedenen Teilen der Welt. Sonja in Österreich, Emma in Kanada, Katie in den USA und ich in Irland. Unsere Druckerei befindet sich allerdings in Deutschland. 

Foto: Von links oben nach rechts unten: Katie McKenney, Sonja Smith-Novak, Elise Missall, Emma Dybenko – The Handstand Press Magazine

Worum geht es in der ersten Ausgabe 01 Common Ground, die Ende Juni herausgegeben wurde?

Die erste Ausgabe „Common Ground“ soll allgemein einen Einblick rund um das Überthema Handstand bieten und einen tieferen Einblick in die Weite der Handbalance-Gemeinschaft gewähren. Handstände sind ein Element in verschiedenen Sportarten und Disziplinen, die den Einstieg für viele Athleten, Lehrer und Bewegungskünstler darstellen, die dann süchtig werden und die große Bandbreite der Möglichkeiten des Handstandtrainings entdecken. Handbalance wird dann oft zu ihrer Hauptdisziplin, was uns wieder zu dem bringt, warum wir dieses Magazin überhaupt ins Leben gerufen haben.

Das Hauptthema in Ausgabe 01 stellt Athleten mit unterschiedlichen Hintergründen vor. So erfahren Leser:innen den Unterschied zwischen verschiedenen Handstandtechniken und -ansätzen und lernen die Geschichten dieser Athleten, Lehrer und Beweger kennen. Außerdem handelt es von verschiedenen Arten des Handstandes und zeigt auf, was sie alle gemeinsam haben.

Foto: Issue 01 Common Ground – The Handstand Press Magazine

Laut eurer Webseite steht der Launch von Issue 02 „Community“ auch bald bevor. Wann kommt die zweite Ausgabe heraus?

Die zweite Ausgabe wird im Dezember herauskommen. Wir bringen das Magazin immer halbjährig heraus – einmal im Sommer und einmal im Winter.

Während in Ausgabe 01 der Handstand in verschiedenen Bewegungsdisziplinen vorgestellt wurde, zeigt diese zweite Ausgabe, wie wir alle durch Handstand interagieren, unabhängig von unserem Hintergrund. Obwohl die Natur des Handstandes zutiefst introspektiv ist, schafft die Anziehungskraft, die Übung in der Einsamkeit zu genießen, und das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten zu verbinden, ein interessantes Tauziehen.

In vielen Fällen beeinflusst der Versuch, beide Impulse unter einen Hut zu bringen, nicht nur die Art und Weise, wie jemand die Disziplin ausübt, sondern auch, wie er sein Leben gestaltet. Natürlich ist die Erfahrung einer Person in der Handbalancegemeinschaft sehr individuell, aber basierend auf unseren Erfahrungen, unseren Gesprächen mit unzähligen Menschen und den Einsendungen, die wir für diese Ausgabe erhalten haben, kann das Handstandtraining zu menschlichen Interaktionen führen. Diese Verbindungen können einen tiefen und langanhaltenden Einfluss auf das Leben eines Handbalancers haben.

Worauf wollt ihr euch im Issue 02 fokussieren?

Der Fokus dieser Ausgabe ist Community. Über die Handstandgemeinschaft als Ganzes zu sprechen bedeutet, darüber zu sprechen, was Gemeinschaft für jeden Einzelnen bedeutet, und über die Menschen, die sie auf ihrem Streben nach Gleichgewicht getroffen haben. Gemeinschaft bedeutet hier: All die Menschen, die du triffst, wenn du deine Leidenschaft für den Handstand teilen willst. Wer sind die Menschen, mit denen du dich austobst? Mit wem sprichst du über die Schwierigkeiten in der Praxis? Wer ist da, um deine Erfolge zu feiern? Diese anderen Balancierer können aus allen möglichen Bereichen der Bewegung kommen. Sie haben vielleicht eine andere Herangehensweise an die Technik oder leben auf der anderen Seite des Globus. Wie auch immer, wenn du dich mit ihnen durch die Praxis des Handstandes verbindest, dann nennen wir das deine Gemeinschaft.

Wir wollen auch zeigen, wer die Handbalancierer auf der Welt sind, wie sie trainieren und wie deren Umstände sind. Das wird, glaube ich, sehr spannend zu sehen, wie sich Menschen einfach treffen, um auf ihren Händen zu stehen.

Foto: Die Handstand Community – The Handstand Press Magazin

Mehr zu Elise:

Die dreißigjährige Elise Missall ist in Hamburg aufgewachsen und in Folge ihres Studiums in Kulturwissenschaften 2013 nach Dublin für ein neunmonatiges Auslandssemester gezogen. Nach der entdeckten Liebe zur Jonglage, dem Zirkus und dem Handstand, entschloss sie sich mit ihrem irischen Lebenspartner in Dublin zu bleiben. Derzeit betreibt sie mit ihrem Partner eine Online Handstand-, Zirkus-, Beweglichkeitstrainingskurse namens „Handstand Factory“, sowie das multimediale Verlagshaus „Motion Impulse“, das in verschiedensten Medien Unterrichtsmaterialien, sowohl in der darstellenden Kunst (Zirkus), als auch für den Gesundheits- und Fitnessbereich, produziert.

Das Interessanteste ist der Mensch dahinter

Das Interessanteste ist der Mensch dahinter

Astrid Koreska ist Moderatiorin beim privaten Radiosender Radio Arabella. Bei uns durfte sie einmal den Platz tauschen und hat einmal nicht selbst das Mikro in der Hand, sondern wird von uns interviewt. Dabei verrrät sie uns wie man beim Radio Moderator:in werden kann, was ihr für Missgeschicke im Sender passiert sind und wie ihr perfektes Wochenende aussieht.

Astrid Koreska beim moderieren ©Astrid Koreska

Nach dem Tod war es da

Nach dem Tod war es da

Marina Daschner ist ein sogenanntes Channeling Medium. Anfangs verängstigt von ihrer gewonnen Gabe, hilft die Wienerin mittlerweile ihren Klienten, indem sie mit deren höheren Selbst kommuniziert und versteckte Dinge aufdeckt. Ein Interview über die frühere Angst vor der eigenen Wahrnehmung, Skepsis und dem Beweisen des eigenen Könnens.

Kannst du mir kurz erklären, was denn eigentlich ein Medium ist?

Nein, ich kann es nicht erklären, weil die meisten, die das machen, es irgendwo gelernt haben. Dann können sie das natürlich erklären. Zu mir ist es einfach gekommen und deswegen weiß ich nicht, was ich mache. Ich kann es nicht erklären. Jeder hat eine andere Vorstellung davon, was ein Medium ist. Ich habe keine Ahnung. Wenn mich Leute fragen:“ Was machst du denn?“ Sage ich: „Ich weiß es nicht, aber ich bin gut darin.“, weil es wirklich so ist.

Hast du schon versucht eine eigene Definition von einem Medium aufzustellen?

Ja, also für mich ist ein Medium eigentlich jemand, der mit Informationen … handelt …, vielleicht ist das nicht das richtige Wort, aber ich habe kein anderes. Ich habe Zugang zu Informationen und ich gebe diese Information weiter. Das ist alles, was für mich ein Medium ist.

Und wie hast du herausgefunden, dass du ein Medium bist?

Das steht auch auf meiner Homepage. Aber: Ich war sehr krank, ich bin falsch behandelt worden, ich bin gestorben und ich bin wieder zurückgekommen. Und es war da.

Habe ich es richtig verstanden, dass du gestorben bist?

Ja und ich bin zurückgeholt worden und es war auf einmal da.

Wie hat sich das angefühlt?

Unheimlich. Wie soll ich das erklären? Es ist einfach unheimlich, dass du die Krankenschwester über dir siehst und du weißt, dass ihr kleiner Finger gebrochen ist und du weißt, dass die Person neben dir gerade ein wahnsinniges Problem innerhalb der Familie hat, und und und. Es war so unheimlich, dass ich das Gefühl gehabt hab, dass ich verrückt werde. Ich dachte ich sei schizophren geworden in diesen paar Minuten oder Sekunden, wie lang das auch immer gedauert hat. Es war für mich unheimlich.

Das heißt, du bist nicht damit geboren worden?

Das weiß ich nicht. Keine Ahnung, vielleicht war es auch ein Auslöser. Vielleicht war das der Trigger. Ich kann dir das nicht beantworten, ich weiß es nicht.

Würdest du generell sagen, dass das eine Gabe ist oder etwas, was mit viel Arbeit jeder Mensch erlernen kann?

Beides. Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen die Informationen für sich selbst holen können. Aber es benötigt viel Arbeit und eine Gabe, um Informationen von anderen zu holen. Und ich bin auch der Auffassung, dass Menschen mich nicht brauchen würden, wenn sie an ihren Themen arbeiten und ihre ganzen Rucksäcke, die sie mit sich mitschleppen, mal ablegen. Dann brauchen Leute Menschen wie mich eigentlich nicht.

Weißt du, ob es Ausbildungen zum Medium gibt?  

Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nicht, ob es Trainings oder Ausbildungen dafür gibt. Angeblich schon. Aber ich habe keine Ahnung.

Das heißt, du hast nie so was gemacht? Bei dir kam das erst nach dieser Krankheit?

Das, was ich gemacht habe, waren andere Trainings, in andere Richtungen, so wie Kinesiologie oder Bewusstseins-Training, aber Medium zu sein, nein, das nicht. Ich weiß auch nicht, wie man das trainieren kann. Ich weiß aber, wie ich mit meinen Klienten arbeitet, damit sie sich ihre medialen Fähigkeiten, die sie haben, dieses Gefühl, dieses Wissen, für sich holen. Aber wie man das für andere macht, … ich weiß es nicht.

Arbeitest du das jetzt hauptberuflich?

Ja.

Wie lange machst du das schon?

Lass mich überlegen. Begonnen hat das alles vor zehn Jahren, aber so lang mache ich das noch nicht, weil ich ewig davor wegelaufen bin. Sehr, sehr lang wollte ich das nicht. Ich hatte wirklich Angst, weil ich von dem Ganzen nichts wusste. Und für mich war diese ganze spirituelle Welt sowieso ein „non existens“ bis unheimlich. Ich habe lange gebraucht, um es zu verstehen und es richtig zu machen. Ich weiß nicht, wie lange ich schon selbstständig bin. Ich schätze sieben oder acht Jahre.

Du hast schon gesagt, dass du das am Anfang unheimlich gefunden hast. Hast du das dann auch vor anderen Menschen verheimlicht?

Am Anfang wahrscheinlich schon, ich habe es auch von mir selbst verheimlicht. Ich hatte einfach Angst, nachdem ich nicht gewusst habe, was es ist und was mit mir passiert ist. Aber sobald ich das akzeptiert habe und angenommen hatte, nicht mehr. Nein.

Kannst du dich noch an diesen Punkt erinnern, wo du das dann wirklich akzeptiert hast? Gab es einen Auslöser dafür?

Ja, es gab einen Auslöser. Mein Mann und ich waren in Deutschland bei einem Seminar von Roy Martina. Ich konnte es damals nicht kontrollieren und es war für mich sehr belastend. Und bei diesem Seminar, das über fünf Tage gedauert hat, kann mich an nichts erinnern, außer an einen Satz: „Wir können alles in unserem Leben kontrollieren! Wir müssen nur entscheiden, wie wir das machen.“ Ab diesem Zeitpunkt wusste ich, dass ich es „zumachen“ kann. Ich wusste nicht wie, aber ich wusste, ich kann das.

Das war das Erste und das Zweite waren die Menschen dort in diesem Seminar, die mir dann erklärt haben, was ich bin. Etwas das ich selbst nicht gewusst habe. Und dann dachte ich mir: „Okay, gut, ich werd’s kontrollieren. Und jetzt muss ich lernen, damit umzugehen.“ Und an diesem Punkt hat es begonnen.

Wie hast du dann die Kontrolle bekommen, dass du deine Fähigkeiten jetzt „zumachen“ konntest?

Ich habe mich dazu entschieden, dass es mich nicht interessiert, was mit anderen Menschen passiert. Wenn sie sich mit deiner Frage an mich wenden, dann interessiert es mich erst. Also, es ist für mich alles „zu“, bis sich eine Person an mich wendet und dann ist es „offen“. Vorausgesetzt die Person kommt mit der Absicht, Informationen zu holen.

Welche Art von Menschen kommen allgemein zu dir? Wie kann man sich das vorstellen?

Alle. Es ist wirklich breit gefächert. Ich habe Männer, ich habe Frauen, ich habe Geschäftsleute, ich hab Leute, die kommen, weil sie nicht wissen, was mit ihrem Körper los ist. Manchmal sehe ich Sachen, die Ärzte nicht wahrnehmen. Leute kommen ebenfalls zu mir wegen ihren Tieren.

Kann eigentlich jeder ein Medium in Anspruch nehmen oder gibt es manche Menschen, die so verschlossen sind dass es bei ihnen nicht funktioniert?

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Es hängt davon ab, was für ein Medium das ist. Also zu mir kommen Menschen, die wirklich an 1000 anderen Plätzen vor mir waren und es nichts gebracht hat und ich kann dann mit ihnen arbeiten. Es gibt sehr viele Personen, die wirklich sehr viel hinter sich haben. Sie waren da und dort und sie haben erst dieses und jenes gemacht. Und am Ende kommen sie zu mir und ich sehe mich irgendwie so, es klingt extrem, aber so wie die letzte Instanz. Wenn sie bei mir waren, dann suchen sie aber nicht mehr weiter, weil sie das gefunden haben, was sie suchen. Meine Intention oder meine Absicht von Anfang an war, dass zu mir Leute kommen, die wirklich an sich arbeiten wollen und was in ihrem Leben verändern wollen. Deswegen kann ich dir diese Frage nicht beantworten. Ja natürlich. Jeder von uns oder jede Person, die kommt oder sogar ich, hat irgendwo Stolpersteine, oder Blockaden. Es ist wie Zwiebelschichten. Es braucht Zeit, bis wir in die Mitte kommen, aber wir kommen dorthin.

Zu wem kannst du als Medium jetzt Kontakt aufnehmen?

Zu niemanden. Das ist ein anderer Weg, den ich eingeschlagen habe als andere Medien oder Kartenleger oder was auch immer. Es gibt keine Wesenheiten für mich. Meine Wahrnehmung von Spiritualität ist sowieso eine andere als die Esoterikwelt sie kennt. Der einzige Kontakt, den ich aufnehme, ist zu dem höheren Selbst, der Person, die mir gegenübersitzt. Und für mich ist das höhere Selbst unsere direkte Verbindung zur Schöpfung. Das ist alles. Ich habe sonst nichts.

Auf deiner Website steht, dass du zu Engeln bzw Erzengel …

Habe ich damit gearbeitet, ja! Gott sei Dank, ich habe das am Anfang gesagt, als ich noch meinen Weg gesucht habe. Damals habe ich auch damit gearbeitet. Schlussendlich habe ich es aber abgelehnt. Sehr schnell sogar.

Warum?

Weil da die Veränderung in meine spirituelle Wahrnehmung gekommen ist. Ich bin trotzdem sehr dankbar für diesen Weg. Also es war für mich ziemlich wichtig zu wissen, was das alles bedeutet. Und danach hat sich bei mir sehr viel verändert. Es hat alles begonnen, mit einem Artikel, den ich gelesen habe. Es ging darum, warum ich kein Lichtarbeiter bin. Und da hat es bei mir Klick gemacht. Verständnis für etwas, was die ganzen Engel, Erzengel und so weiter mit uns machen. Sie machen uns abhängig von irgendwas von außen. Wir brauchen einen Engel, der uns heilt, einen Engel, der uns schützt. Wir brauchen einen Engel, der für uns irgendetwas macht. Okay, gut. Aber was ist der Preis, den ich dafür zahle, damit diese Engel das für mich macht? Was die Erzengel, Engel oder was auch immer, machen, sie ziehen unsere Energie ab. Wir haben in unseren Leben nur bestimmt viel Energie und ich möchte diese Energie für mich behalten und niemand anderes geben. Und deswegen arbeite ich nicht mehr damit.

Kannst du auch Kontakt zu verstorbenen Personen aufnehmen?

Kann ich, mache ich nicht.

Warum nicht?

Verstorbene haben keinen Respekt zu Grenzen. Also wenn sie Kontakt aufnehmen wollen, dann sind sie einfach da und zwingen dich dazu. Ich habe es erfahren, deswegen weiß ich, was das bedeutet. Ebenfalls bei Verstorbenen, wenn die Seele nicht mehr mit dem Körper verbunden ist, hat sie einen bestimmten Weg zu gehen. Und jedes Mal, wenn ich mit denen Kontakt aufnehmen, hole ich sie von diesem Weg und ich lasse sie deren Weg nicht gehen. Und gegen so ein Vorgehen bin ich hundertprozentig. Und deshalb mache ich es nicht. Aber es gibt Leute, die es machen. Ich habe sogar die Telefonnummer von einer Frau in der Steiermark, die das tut und wenn mich Leute deshalb kontaktieren, gebe ich ihnen die Nummer und sie sollen machen, was sie wollen. Ich mache das nicht.

Das heißt, du kannst es eigentlich alles abschalten, aber bei Verstorbenen, da ist es dir dann …

Nein, nein, es ist einfach. Stell dir vor jemand will in deine Wohnung und du sagst: „Nein“ und dieser jemand kommt trotz verschlossener Tür rein. Und so sind die Verstorbenen. Sie zeigen keinen Respekt zu den Grenzen, die man ihnen setzt. Zumindest bei mir hatten sie das nicht. Und ich bin eine, die sehr, sehr viel mit Respekt arbeitet. Respekt ist mir extrem wichtig und es ist schwer mit Wesenheiten zu arbeiten, die das nicht haben.

Es gibt bestimmt auch einige Leute, die da eher skeptisch gegenüberstehen.

Ich liebe diese Leute und ich mag solche Leute. Das ist genau das, was ich brauche. Ich brauche skeptische Leute. Ich will nicht, dass die Menschen blind überall hineingehen und an alles glauben.

Eine Frage, die vielleicht jetzt ein bisschen provokant ist, aber kann es sein, dass du dir das alles nur einbildest?

Natürlich kann das sein, aber das ist meine Wahrnehmung. Und ich vertraue meiner Wahrnehmung. Genauso wie ich weiß, dass meine Hand nass ist, nachdem ich sie ins Wasser gehalten habe. Das ist meine Wahrnehmung und wenn ich mir das einbilde, dann bilde ich mir tolle Sachen ein und ich bin happy damit.

Wurde dein Beruf auch schon mal nicht ernst genommen oder sonst ins Lächerliche gezogen?

Natürlich. Aber ich verstehe auch warum. Wenn Leute zu mir kommen und sie erzählen mir, dass sie bei einer Kartenlegerin waren und sie hat versprochen, dass dieser Mann sie heiraten würde und es passiert nicht, dann es wundert mich nicht, dass es ins Lächerliche gezogen wird. Erst recht nicht, wenn ich dann sehe, dass der Mann mit einer anderen verheiratet ist und sie war nur eine Affäre und es ihm scheißegal. Und dann sage ich solchen Leuten, dass sie die Kartenlegerin anrufen sollen und dass sie ihr Versprechen einhalten soll. Also seriös ist das nicht. Es ist schade, weil ich davon ausgehe, dass außer mir noch andere wirklich gut arbeiten, aber das wird durch solche Leute dann eben zerstört.

Kann man das irgendwie beweisen? Ich könnte mir vorstellen, dass manche Skeptiker einen Beweis haben wollen. Hast du es da eine Möglichkeit?

Die eine Möglichkeit, es zu beweisen ist, Leute, die ich nicht kenne, die noch nie bei mir waren, die ersten paar Minuten nicht reden zu lassen. Ich bin diejenige, die die Sitzung anfängt. Und dann sage ich Ihnen Sachen, die nicht an eine Frage geknüpft waren oder sowas. Dann wissen sie, dass ich über sie oder über eine Person rede oder über genau das, was denjenigen gerade beschäftigt. Das ist mein Beweis. Ich habe keine andere Möglichkeit.

Gab es einen Moment, wo du selbst emotional wurdest?

Nein. Ich weiß nicht, wie ich das schaffe, weil ich ein extrem emotionaler Mensch bin. Ich weine bei Filmen, bei Bücher, bei Geschichten, da weine ich die ganze Zeit. Jede Kleinigkeit kann mich triggern, nur bei den Sitzungen da weine ich nicht.

Vielen Dank für das Interview

“One of my goals is Top 10 in Europe”

Im November diesen Jahres fand die Vienna Challengers Arena, eines der größten europäischen Super Smash Bros. Ultimate Turniere in Europa, statt. Mitten in Wien versammelte sich die kontinentale Smash Elite offline. Mit dabei auch Hugo Hujala, in Game: Lancelot

Der 19-jährige ist Super Smash Bros. Ultimate Spieler aus Finnland und hat mit uns gesprochen. Warum eine so starke Online Community sich immer wieder offline trifft, wie sein Training aussieht und welche Ziele er verfolgt.

“Wenn du reich werden willst, würde ich dir eher empfehlen sexistischen Rap zu machen.”

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Frauenfeindlich, sexistisch und gewaltverherrlichend – so sind einige Texte erfolgreicher Deutsch Rapper:innen. Frauen werden hier oft nur als Objekte dargestellt. Außerdem wird die Deutsch Rap Szene noch immer stark von Männern dominiert.

Darüber haben wir mit der Wiener Rapperin Yasmo gesprochen. Yasmo rappt seit über zehn Jahren über Themen wie Feminismus, Gleichberechtigung und seelische Gesundheit. Im Interview teilt sie ihre Gedanken zu Sexismus im Deutsch Rap.

Ein Interview von Iris Rothmüller
© Kidizin Sane

Ein Blick unter das Make Up

Ein Blick unter das Make Up

Seit mehreren Jahren verwandelt sich Bernhard Ledinski zur Dragqueen Candy Licious. Was zuerst als Hobby begonnen hat, ist mittlerweile sein zweites Standbein geworden. Denn als Candy Licious wird Bernhard regelmäßig für Auftritte und Moderationen gebucht.

Wir haben mit Candy Licious über die Wiener Drag Szene gesprochen und spannende Einblicke über das Leben als Dragqueen erhalten. Dabei durften wir auch einen Blick unter das Make Up werfen.

Ein Interview von Iris Rothmüller und Darja Novak

„Da muss man eine dicke Haut haben“

Seit 23 Jahren frühstückt Claudia Stöckl live im Radio mit Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft, Society oder Politik. Niki Lauda war genauso Gast wie Barbara Schöneberger, Conchita Wurst oder Herbert Kickl. Stöckl spricht über Tricks bei der Vorbereitung auf ein Interview, warum es von Vorteil ist schon länger im Geschäft zu sein und über Anfeindungen aufgrund kontroverser Gäste.

Ihre Sendung „Frühstück bei mir“ läuft bereits seit 1997 jeden Sonntag auf Ö3. Wie frühstückt es sich nach so vielen Jahren?

Noch immer mit sehr viel Begeisterung. Es ist einfach großartig Woche für Woche die Welten von Menschen kennenzulernen, sie zu hinterfragen und dann nach sehr viel Recherche den Hörern präsentieren zu dürfen. Ich bin davon überzeugt, dass das Gesagte umso spannender wird, desto mehr man über eine Person weiß. Denn die guten Geschichten kommen nicht sofort. Deshalb versuche ich neue Perspektiven einzunehmen und heikle Punkte zu finden, wo dann Emotionen hochkommen.

Wie recherchieren Sie, um diese „heiklen Punkte“ zu finden? Was ist Ihr Trick?

Ich versuche immer im Vorfeld Gespräche mit Leuten zu führen, die meinen Gast gutkennen. Das kann die Partnerin oder der Partner sein, die Mutter oder der beste Freund. Vor einigen Wochen zum Beispiel hatte ich den Manager von Dominic Thiem, Herwig Straka, zu Gast. Thiem gewann nur wenig Tage zuvor seinen ersten Grand-Slam-Titel. Das war ein historisches Ereignis. Also rief ich Strakas besten Freund an, der seine Entwicklung seit Jugendtagen beurteilen kann. Das war ein herrliches Gespräch.

Wo sind für Sie die interessantesten Momente während eines Interviews?

Die spannenden Momente finden sich oft zwischen den Zeilen des Gesagten. Die Stimme transportiert so viel: Die Pausen, das Lachen, das Zaghafte. Manchmal bricht eine Stimme weg und ich merke, da sagt jemand vielleicht nicht ganz die Wahrheit. Das muss ich als Interviewerin natürlich mitdenken.

Ging ein Interview auch schon einmal komplett schief?

Fehler und Hopplas gibt es natürlich. Die sind aber meistens technischer Natur. Vor einigen Jahren gab es eine Episode mit Niki Lauda, den ich im Hotel Imperial zum Frühstück traf. Wir saßen also zusammen und die Aufnahme lief. Jedoch durch eine unabsichtliche Bewegung meines Beines, zog ich das Kabel aus der Steckdose heraus und die Aufnahme brach ab. Als ich das merkte erstarrte ich und mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Leider speicherte das damalige Gerät auch die ganze vorherige Stunde Gespräch nicht. Lauda merkte, dass ich nervös geworden war und ich gestand ihm das Missgeschick. Gottseidank willigte er ein, mich am nächsten Tag noch einmal zu treffen. Aber so ein Interview, das muss ich auch sagen, wird beim zweiten Mal nie so gut. Er wusste nun die Fragen und so manches erzählt man beim ersten Mal anders, gerade wenn eine überraschende Zwischenfrage kommt. Lauda war dann vorbereitet auf mich.

Durch die vielen Jahre, die Sie im Geschäft sind, kennen Sie einige Gäste nun auch persönlich. Kann das von Vorteil sein?

Manchmal ist es von Vorteil ja, gerade in dieser Branche. Ich habe 1992 begonnen als Society Reporterin für „Ö3 dabei“ und war jeden Abend bei Theaterpremieren oder Konzerten. Allein den Opernball habe ich 14 Mal als Reporterin besucht. Ich begleitete viele Menschen über Jahre hinweg. Vor mittlerweile elf Jahren etwa sagte Roland Düringer zu mir: „„Hauptsache man steigt aufs Gas und wer bremst verliert“. Nun fünf Jahre später schrieb er mir: „besser ein bisschen zu langsam als viel zu schnell.“ Ich bekam die Wandlung dieses Menschen mit, der am Anfang ein Benzinbruder war, der die Stadthalle füllte und nun ist er in seinen Wohnwagen gezogen, hat sich komplett verändert, all seine Autos verkauft und ist öko-mäßig unterwegs.

Ist es auch von Vorteil den Gast sympathisch finden?

Das finde ich gar nicht. Sympathie ist für mich keine Kategorie. Selbst wenn ich Politiker interviewe, die überhaupt nicht meiner politischen Überzeugung entsprechen, dann ist das schon ein Gebot, vor allem bei einem öffentlich-rechtlichenSender, dem neutral zu begegnen.

Sympathie ist bei Politiker*innen demnach keine Kategorie. Wie schaut es mir Distanz aus?

Distanz ist sehr wichtig, das stimmt. Das erwartet der Hörer auch. Da geht’s auch weniger um diese emotionalen Dinge sondern mehr darum auch die Widersprüche der politischen Entscheidungen aufzuzeigen. Aber natürlich, bei einem Interview mit einem Politiker, kann man nicht gewinnen, weil der Hörer natürlich eine eigene Position zu dem Politiker, zu der Partei hat und sich auch seine Meinung gemacht.

Große Aufmerksamkeit erzeugte Ihr Interview mit dem damaligen Innenminister Herbert Kickl. Viele haben sich gefragt, ob ein Interview im Format von „Frühstück bei mir“ mit jemanden wie ihm passend ist.

Das ist finde ich eine interessante Auffassung. Warum soll das nicht passend sein? Ich hatte Politiker aller Couleurs bei mir zu Gast. Es ist ja das schöne, dass ich die Freiheit habe nicht nur politische Fragen zu stellen, sondern auch über den Umgang mit Kritik, über Ehe oder Erziehung. Herbert Kickl hat als Minister über Wochen und Monate für großen Diskussionsstoff gesorgt. Deswegen war es sehr spannend ihn zuinterviewen. Aber wir wissen in Zeiten von sozialen Medien, was das für einen Rattenschwanz an Reaktionen mit sich zieht. Gerade beim Kickl-Interview war es tough, was sich da abspielte.

Auch kontroverse Personen wie Herbert Kickl waren bei Claudia Stöckl zu Gast. © Martin Krachler/Hitradio Ö3

Was genau hat sich da abgespielt?

Es ging sehr in die Richtung persönlicher Anfeindungen und Hasspostings. Ich bin danicht die einzige. Damit haben viele Kolleginnen, gerade jene die Polit-Interviews machen, zu kämpfen wie Susanne Schnabl (Anmerkung: Moderatorin des ORF-Innenpolitik-Magazins Report). So eine Sendung muss schon gut überlegt sein. Will ich eine Sendung, die in so einem Ausmaß auch negative Emotionen gegen meine Person provoziert? Will ich sowas durchtragen? Da muss man eine dicke Haut haben.

War es ihre Entscheidung Herbert Kickl einzuladen?

Ich bestimme die Gäste nicht selbst. Das ist das Resultat einer Redaktionskonferenz mit unserem Ö3-Chef Georg Spatt, der die Strategie und die Linie vorgibt. Er ist derjenige, der sich die überlegt, wie der Sender positioniert wird. Ich schlage viele Gäste vor, viele andere aus der Redaktion bringen auch Namen, die in der Sitzung diskutiert werden. So werden dann auch die Gäste ausgewählt.

Gibt es jemanden, den sie gerne eingeladen hätten, aber durften nicht?

Das sind bei jeder Sitzung so viele. Also ich bin sicher in meinem Denken so, dass ich gerne „alte, weiße Männer“ einlade (lacht). Beispielsweise war neulich Claus Peymann wieder in Wien (Anmerkung: früherer Direktor des Burgtheaters). Er ist ein wahnsinnig gescheiter Mann und für mich ist das natürlich toll, wenn jemand so gut formuliert und Geschichten lebendig erzählen kann. Das sind mir die liebsten Gäste. Aber er ist leider nicht durchgegangen, weil wir mit Ö3 lieber ein junges Publikum ansprechen möchten.

Wen würden Sie in Zukunft noch gerne in die Sendung bekommen?

Dominic Thiem zum Beispiel. Aber das ist schwierig weil die Eltern alles mitentscheiden und sehr vorsichtig sind. Gerade bei Thiem, der gerade ein Weltstar wird, wird jeder Satz auf Waagschale geworden.

“Das war zu viel für mich”

In Österreich gibt es rund 85.000 Pfadfinder*innen, die aufgeteilt sind auf rund 300 Gruppen. Die jüngeren Gruppen werden von Jugend- bzw. Gruppenleiter*innen betreut, von denen die meisten selber früher Pfadfinder*innen waren. Wenn es durch Corona nicht gerade verhindert wird, sehen die Leiter*innen ihre Gruppe einmal wöchentlich und fahren einmal im Sommer zusammen mit ihren Schützlingen auf ein zweiwöchiges Sommerlager. Sie sind speziell für die jüngeren Pfadfinder*innen eine wichtige Bezugsperson in deren Leben. Deswegen geraten die Gruppenleiter*innen jedoch auch oft in schwierige Situationen, auf welche sie bei den Pfadfinder*innen kaum vorbereitet werden.

Pädagogische Schwerpunkte der Pfadfinder*innen ©ppoe.at

Um die Leiter*innen in ihren Aufgaben zu unterstützen, bieten die Pfadfinder*innen Aus- und Weiterbildungsseminare an. Trotzdem bilden diese Seminare lediglich einen Grundstein. Manuel, Kathi und Sarah sind Jugend- bzw. Gruppenleiter*innen bei unterschiedlichen Gruppen der Pfadfinder*innen und berichten von ihren Eindrücken zu diesen Seminaren, als auch von Erfahrungen, auf die sie sich trotz ihrer Ausbildung nicht vorbereitet gefühlt haben. Die Interviews wurden separat voneinander durchgeführt.*

Haben Sie sich nach den Ausbildungsseminaren der Pfadfinder*innen ausreichend qualifiziert gefühlt um mit Kindergruppen zu arbeiten?

Manuel: Ich habe das Problem, dass meine Gruppe eine der größten in Wien ist und diese Seminare auf weitaus kleinere Gruppen ausgelegt sind. Für uns sind viele der Dinge, die da vorgestellt werden, so nicht umsetzbar. Die Seminare an sich haben mir meistens nicht so viel mitgegeben. Was mir oft mehr geholfen hat, war der Austausch mit anderen Gruppenleiter*innen.

Kathi: Also es gab für mich bei den Seminaren einige Punkte, die neu und spannend waren. Sehr viel davon wusste ich aber schon im Vorfeld, da ich es recherchiert habe, weil es mich persönlich interessiert hat. In diesen Seminaren bespricht man halt wirklich nur die „Basics“. Alles was auf einem Lager zum Beispiel auf einen zukommt wird da nicht wirklich besprochen.

Sarah: Das kann ich nicht genau sagen, da ich noch am Anfang meiner Ausbildung stehe. Ich leite trotzdem meine Gruppe schon seit zwei Jahren und eine Kollegin von mir leitet bereits seit zehn Jahren und hat die Ausbildung nie gemacht. Ich finde, dass die Ausbildung der Pfadfinder*innen allgemein sehr willkürlich ist, da es keinen richtigen Rahmen gibt. Speziell in größeren Pfadfindergruppen ist es sehr verbreitet, dass es Leiter*innen gibt die gar keine Weiterbildungsseminare absolviert haben.

Haben Sie schon Situationen erlebt, in denen Sie nicht gewusst haben, wie Sie sich verhalten sollen?

Manuel: Ja. Ein Kind aus meiner Gruppe hat mal damit begonnen, mich über den Selbstmord eines Freundes von mir auszufragen, der früher selber Pfadfinder war. Das war in dem Moment einfach zu viel für mich.

Kathi: Einmal ist auf einem Lager ein Kind zu mir gekommen, dessen Großmutter im Sterben lag und das Kind hat das erst kurz vor dem Lager erfahren. Daher hatte es sehr Heimweh, da es nicht wusste, ob es seine Großmutter nochmal sehen wird. Ich habe das Kind zwar getröstet, aber es war sehr schwierig für mich, da ich überhaupt nicht auf so eine Situation vorbereitet war.

Sarah: Ja, da wir allgemein schon sehr viel mitbekommen. Wir hatten zum Beispiel einmal ein Mädchen in unserer Gruppe, wo wir mitbekommen haben, dass sie sich ritzt und wir nicht wussten, wie wir das ansprechen sollen.

Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach mehr in die Ausbildungsseminare der PPÖ (der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreich) einfließen?

Manuel: Könnte ich jetzt akut nicht sagen. Mein Problem mit diesen Seminaren war immer, dass sie sehr oberflächlich sind, da sie von Personen geführt werden, die die Materie selber nicht studiert haben oder Fachleute auf diesem Gebiet sind. Das sind Personen, die selber bei einer Ausbildung waren und ihr gelerntes Wissen weitergeben. Es wäre wichtig, dass gewisse Seminare von Experten auf ihrem jeweiligen Gebiet geführt werden und tiefgründiger sind.

Kathi: Auf jeden Fall der pädagogische Aspekt und wie man mit Themen umgeht, die einen an seine eigenen Grenzen bringen.  Speziell nach den Sommerlagern bin ich oft körperlich als auch seelisch sehr ausgelaugt, weil man einfach zwei Wochen lang sowohl Aufpasser als auch Bezugsperson für so viele Kinder ist.

Sarah: Die Gewaltprävention-Module sind auf jeden Fall nicht ausreichend und auch das Thema Sexualität wird praktisch gar nicht behandelt. Speziell da besteht großer Aufholbedarf. Auch Diversität und Vielfalt wird in den Seminaren zum Beispiel überhaupt nicht behandelt.

Da sich die Kritik an den Aus- und Weiterbildungsseminaren der Pfadfinder*innen Österreich in mehreren Aspekten sehr ähnelt, wurde  anschließend an die Interviews Frau Biggi Stockinger-Hofer interviewt. Sie arbeitet als Assistentin der Bundesgeschäftsführung innerhalb der PPÖ und ist darüber hinaus Ansprechpartnerin in Angelegenheiten der Bundesausbildung.

Frau Stockinger-Hofer, wie wird man bei den Pfadfinder*innen eigentlich Gruppen- bzw. Lagerleiter*in?

Grundsätzlich muss man das 17. Lebensjahr vollendet haben und in der Gruppe aktiv sein. Dann gibt es ein sogenanntes Vereinbarungsgespräch zwischen der Gruppenleitung und diesem neuen Gruppenleiter bzw. Leiterin. Da geht es darum, was es heißt, zu leiten, wie viele Zeitressourcen ich habe, was ich nicht leisten kann, weil es natürlich nicht damit getan ist mit Kindern oder Jugendlichen in einer Heimstunde zu stehen, sondern jede Pfadfindergruppe hat Gruppenaktionen und andere Aktivitäten, die einfach auch Zeit kosten. Wenn dieses Gespräch erledigt ist, wird mit einem Gruppenausbildungsbegleiter der Ausbildungsweg besprochen. Da geht es darum, dass Jugendleiter*innen ansich verpflichtet sind, eine PPÖ interne Ausbildung zu machen. Das sind sogenannte Präsenzseminare, die meistens einen Tag oder ein Wochenende dauern.

Die Gruppen- und Lagerleiter*innen der PPÖ sind für die Kinder und Jugendlichen oft Bezugspersonen und werden dadurch auch immer wieder mit seelischen Konflikten oder Problemen des Erwachsenwerdens konfrontiert, gibt es für solche Themen auch Seminare?

Es gibt keine konkreten Entwicklungspsychologie-Seminare, wenn Sie das meinen. Wir hatten früher mal Entwicklungspsychologie-Einheiten bei den Seminaren, aber das waren nie mehr als 90 Minuten – sprich, da ging es nie wirklich in die Tiefe und Fakt ist, dass wir im freizeitpädagogischen Bereich tätig sind und keine Psychologen sind. Deswegen hüten wir uns auch davor, diesen Eindruck zu erwecken. Auch den Jugend- bzw. Gruppenleiter*innen gegenüber. Wir haben eine Kooperation mit Rat auf Draht, die wir publizieren und auch pushen. Es gibt zwar Jugend- und Gruppenleiter*innen, die Psychologen sind, weil sie es beruflich machen, aber es gibt keine Ausbildung. Wir haben Entwicklungsziele, die Teil unseres pädagogischen Konzepts sind. Das heißt, wir unterstützen die Kinder und Jugendlichen in gewissen Bereichen, in welchen wir uns zuständig sehen, aber wir haben keine psychologische Ausbildung. Das ist ganz wichtig.

Aber würden Sie es nicht als sinnvoll erachten, dass eine psychologische Ausbildung für Leiter*innen zumindest grob in die Weiterbildungsseminare miteinfließt?

Nein. Das finde ich nicht sinnvoll, weil ich glaube, dass der entwicklungspsychologische Bereich einfach viel zu groß ist, um ihn in 90 Minuten abzuhandeln. Also das Thema sprengt meines Erachtens jegliche zeitlichen Möglichkeiten, die wir ansatzweise haben. Es gibt natürlich die Möglichkeit, sich freiwillig bei externen Anbietern weiterzubilden. Das wird auch gerne gesehen, aber wir selber bilden keine Psychologen aus. Wenn ein Kind auf einem Lager zum Beispiel zu mir kommt und sagt, dass es zuhause unter Druck gesetzt wird oder betatscht wird, dann übersteigt das einfach meine persönliche Kompetenz und die bilden wir auch nicht aus. Unsere Aufgabe ist es, die Schwere des Problems abzuschätzen und zu schauen, wohin wir dieses Kind hin verweisen können.

Was haben Kinder- und Jugendleiter*innen für Möglichkeiten wenn sie selber mit so einer Situation überfordert sind?

Kein Kinder- oder Jugendleiter leitet eine Gruppe alleine. Es gibt immer ein Team von zumindest zwei Personen. Der erste Schritt ist also immer der Austausch mit der zweiten Person oder im Team, um die Situation zu besprechen und mögliche weitere Schritte gemeinsam zu überlegen. Wir haben bei den Landesverbänden Kontaktstellen, wo sich Leiter und Leiterinnen im Fall von zum Beispiel eines vermuteten Missbrauchs hinwenden können. Dort wird ihnen dann geholfen. Aber auch dort sitzt kein Psychologe. Dort wird dann geschaut, ob man eine Krisenintervention braucht oder ob zum Beispiel Rat auf Draht nicht ausreicht.          

Aber würden dann zumindest, wenn diese Kontaktstellen das Problem als schwerwiegend einschätzen, Psychologen bzw. die nötigen Fachleute hinzugezogen werden?

Unter Umständen – natürlich. Wenn es erforderlich ist, dann wird da natürlich Kontakt hergestellt und es werden die notwendigen Personen vermittelt. Aber der Punkt ist nochmal, dass wir selber nicht psychologisch ausgebildet sind. Wir schreiben uns das nicht auf unsere Fahnen. Im Gegenteil, wir schauen, dass wir das ganz klar sagen.

Und werden die Pädagogik-Seminare oder Seminare wie „Sicherheitshalber“, wo es um Jugendschutz geht, von ausgebildetem Fachpersonal abgehalten? Oder wer hält diese Seminare?

Nein, die werden von Trainern und Trainerinnen der Pfadfinder selbst abgehalten.

Wie wird man so ein Trainer bzw. eine Trainerin, um solche Seminare zu leiten?

Dazu muss man eine Trainer*innen-Ausbildung machen bei der PPÖ. Die dauert ungefähr zwei Jahre. Da geht es dann nicht um die inhaltliche Vertiefung, sondern quasi um die didaktische Vertiefung: Wie moderiere ich? Wie präsentiere ich? Wie plane ich ein Seminar? Was sind die Bedürfnisse von jungen Erwachsenen bzw. Jugendlichen? Wie schaffe ich da einen sicheren Rahmen? Was für Methoden im Umgang mit Kindern und Jugendlichen gibt es? Solche Themen eben. Da gibt es dann auch Praxisübungen zu absolvieren und wenn man das geschafft hat ist man ein Trainer bzw. eine Trainerin der PPÖ.

Ich habe im Vorfeld zu diesem Interview mit einigen Gruppen- und Jugendleiter*innen gesprochen und eine hat mir erzählt, dass es sowohl in ihrer Gruppe als auch in verschiedenen anderen Gruppen Leiter*innen gibt, welche gar keine Weiterbildungsseminare besucht haben. Sind diese Seminare nicht verpflichtend?

Eigentlich schon, aber der Punkt ist, dass jede Pfadfindergruppe ein eigenständiger Verein ist, der zu dem Dachverband der Pfadfinder und Pfadfinderinnen Österreichs gehört. Eigentlich ist es die Aufgabe der Gruppenleitung dafür zu sorgen, dass die Leute ausgebildet sind.

*Um die Identität der interviewten Pfadfinder*innen zu schützen wurden die Namen in diesem Interview abgeändert.

“Das war das schnellste Bewerbungsgespräch meines Lebens”

Elke Hesse spricht im Interview darüber, wie sich ihre Karriere über Umwege vom Rampenlicht auf der Bühne zur Direktorin des MuTh – dem Konzertsaal der Wiener Sängerknaben entwickelt hat, wie sie ihr Familienleben mit ihrer beruflichen Laufbahn verbunden hat und wie der Bau des jüngsten Konzerthauses in Wien eine neue Form von künstlerischen Protesten hervorgebracht hat.

Frau Hesse, wie war es für Sie mit dem Bau des MuTh beauftragt zu werden? Immerhin war es ja der erste Konzertsaal seit über 100 Jahren, der in Wien gebaut wurde.

Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Seit die Baugrube ausgehoben wurde, leite ich das Projekt und das war schon etwas ganz Besonderes. Der Bau des Musikvereins wurde quasi vom Kaiserhaus genehmigt, das Konzerthaus von der Bürgerschaft, kann man sagen und das MuTh von einer Stiftung und einem Mäzen.

MuTh – Konzerthaus der Wiener Sängerknaben. Quelle: muth.at Foto: Helmut Karl Lackner

Aber gab es nicht speziell am Anfang viel Gegenwehr gegen das Projekt?

Ja, es gab viel Streit davor, so wie immer in Wien. Es war sehr lange die Diskussion, wo soll das Ganze gebaut werden? Ursprünglich war geplant, dass das Haus nur für die Wiener Sängerknaben als Probeort und als Ort, wo sie ihre speziellen Projekte wie ihre Kinderopern aufführen, fungieren soll. Es kam hier zu diesem Ort am Wiener Augartenspitz und es gab eine Gruppe, die sich gegen die Bebauung des Wiener Augartens gewehrt hat. Diese Gruppe hat riesige Protestwellen gestartet.

War das der Verein “Freunde des Augartens”?

Genau. Die haben sich quer gestellt, was ich eigentlich auch ganz toll fand, da es ein wahnsinnig kreativer Protest war. Also ein künstlerischer Protest eigentlich und das war schon etwas Besonderes. Das hat eine neue Protest-Kultur an den Tag gebracht oder zumindest einige Mitglieder davon. Die hatten sehr kreative Ideen und irgendwie hat mir das auch sehr gefallen. Andere wiederum waren so hart, dass es überhaupt nicht möglich war, an sie ranzukommen und mit ihnen zu diskutieren. Die waren alle der festen Überzeugung, dass das überhaupt nicht geht. Die Sängerknaben sind sowieso so hoch subventioniert und wieso sollen die jetzt auch noch ein eigenes Haus bekommen. Es waren einfach so viele Falschinformationen unterwegs.

Was kann man sich denn unter kreativen Protestformen bzw. kreativen Protesten vorstellen?

Naja, das war in Form von künstlerischen Interventionen würde ich sagen. Da war zum Beispiel eine Gruppe um eine Bühnenbildnerin und die haben mit ganz tollen Kostümen demonstriert. Sie haben gemeinsam gesungen und ich habe mich eben dazugesellt und habe mitgesungen. So bin ich dann über das Singen in Kontakt mit ihnen gekommen. Anders war es nicht möglich.

Das hört sich jetzt aber nicht so an, als wäre das ein großer Protest gewesen, wenn Sie sich mit den Protestierenden zusammen hinstellen und singen.

Nein nein, das waren schon richtige Proteste. Ich war noch gar nicht in Wien wie das begonnen hat, dass die Idee hier aufgekommen ist. Da habe ich gerade ein Festival in Deutschland geleitet. Aber es haben sich die Leute teilweise an Bäume gekettet und die Baustelle musste zwei Jahre lang rund um die Uhr von einer Securityfirma besetzt werden. Das alleine hat uns beim Bau eine Million Euro gekostet.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Sie gefragt wurden, ob Sie das Haus leiten möchten?

Durch einen Zufall. Ich war davor schon im Theater an der Josefstadt künstlerische Betriebsdirektorin  unter Intendant Hans Gratzer und dem kaufmännischen Direktor Alexander Götz. Götz war dann auch im Aufsichtsrat des neu zu bauenden Konzertsaals. Als ich 2005 die Festspiele in Bad Hersfeld vorbereitet habe, und dabei ein frisch geborenes Kind hatte, habe ich von ihm einen Anruf bekommen, ob er mich für die Leitung vorschlagen darf. Ich habe daraufhin nur lächelnd gemeint: „Natürlich darfst du mich vorschlagen!“, so ist das eigentlich relativ schnell gegangen. Das war das schnellste Bewerbungsgespräch meines Lebens. Innerhalb von 10 Minuten hatte ich den Job.

Sie hatten zu der Zeit ein neugeborenes Kind – war das je ein Problem für Sie, das familiäre Leben und die berufliche Laufbahn unter ein Dach zu bringen?

Ich glaube, jeder würde lügen, wenn er sagt, es ist kein Problem. Ich habe das Glück, dass meine Kinder liebende Fremdschläfer waren. Wenn du einen Job hast, wo du am Abend arbeitest, ist das sonst schwierig. Ich bin bei beiden Alleinerzieherin und habe den großen Vorteil eines guten sozialen Systems um mich herum – sprich, meine Eltern, meine Geschwister, meine Freunde. Insofern war es für mich im Nachhinein gesehen – man sieht es dann immer etwas leichter – eigentlich easy. Trotzdem lebt man immer noch im Unterbewusstsein mit diesem Rollenbild, eine Mutter muss immer bei ihren Kindern sein, eine Mutter muss immer zu Hause sein, wenn sie zum Beispiel von der Schule nach Hause kommen. Da hatte ich schon öfters ein schlechtes Gewissen. Aber das tolle war, dass ich das immer mit meinen Kindern besprochen habe, auch wie sie ganz klein waren und eher die mich beruhigt haben.

Sie sind ja ursprünglich auch selber auf der Bühne gestanden. Wann haben Sie für sich beschlossen, anstatt auf der Bühne zu stehen, sozusagen hinter der Bühne die Fäden zu ziehen?    

Elke Hesse, Direktorin des MuTh. Quelle: muth.at Foto: Helmut Karl Lackner

Ich komme aus einer sehr guten bürgerlichen Familie. Ich habe zwei ältere Brüder und das kleine Mädchen war sozusagen der Sonnenschein, da stand schnell fest – die wird künstlerisch ausgebildet neben der Schule. Also bin ich auf die Akademie der Musikhochschule, da gab es auch eine Ballettabteilung – das war im Schloss Schönbrunn. Später bin ich dann über den Tanz zum Schauspiel gekommen. Ich habe am Konservatorium meinen Abschluss gemacht und bin danach nach Deutschland gegangen. Später war ich auch bei einer Kabarettgruppe in Wien. Ich habe mir aber selbst immer zugeschaut beim Spielen und habe gemerkt, ich bin einfach keine Künstlerin. Zu der Zeit ist ein Schauspieler auf mich zugekommen und hat gemeint, dass ich die geborene Produzentin wäre. Ich habe ihm dann geantwortet: „Wenn du das glaubst, dann mache ich das!“, und habe mich quasi von heute auf morgen selbständig gemacht. Ich habe wie eine Art Filmproduktionsfirma im Theaterbereich aufgebaut. Das gab es davor nicht in Wien. Die Leute haben sich geschlagen um mich. Ab diesem Moment, ab dieser Entscheidung, ist dann mein Weg ganz steil nach oben gegangen.

Also haben Sie für sich in Ihrem Leben alles richtig gemacht?

Nein, um Gottes Willen. Ich habe auch viele Dinge, die ich vielleicht hätte anders machen sollen, aber wenn man sich jetzt meinen Lebenslauf im Groben anschaut, war das glaube ich der richtige Weg. Beruflich war es auf jeden Fall der richtige Weg – auf Umwegen. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass das quasi in Wien wahrgenommen wird. Ich bin jetzt auch in den Aufsichtsrat der Staatsoper berufen worden. Das sind alles Dinge wo man sich denkt, super, meine Arbeit hier wird auch wahrgenommen.

Ich glaube 2019 war auch ein besonderer Punkt wo man gemerkt hat, dass Ihre Arbeit wertgeschätzt wurde. Sie haben ja Anfang des Jahres den Ehrentitel Professorin verliehen bekommen.

Ja, das war für mich ein toller Moment, ich habe mich irrsinnig gefreut. Vor allem die Verleihung im MuTh war besonders lustig. Ich habe damals gesagt, dass ich nicht möchte, dass die Verleihung irgendwo in einem Ministerium stattfindet, sondern ich würde die Verleihung wahnsinnig gerne im MuTh machen. An meinem Arbeitsort quasi. Das hat mir sehr gut gefallen, weil ich all meine Freunde ins MuTh einladen konnte. Das ist der einzige Nachteil an meinem Beruf, weil ich so viel am Abend arbeite, dass es schwer ist, Freundschaften zu pflegen. So klassische Einladungen mit Rückeinladungen. Ich werde immer nur eingeladen und kann dann nie zurück einladen. Deshalb habe ich mir gedacht, das ist jetzt die Chance alle, die an meinem Werdegang, -das sind ja auch meine Freunde – einzuladen und es waren auch irrsinnig viele da. Es war einfach ein lustiges Fest und es hat glaub ich auch dem Ministerium damals sehr gut gefallen.

Als abschließende Frage: Haben Sie noch offene Ziele oder Wünsche im Leben, die Sie sich bisher noch nicht erfüllen konnten?

Also ich habe zwar einen Abschluss – ich bin diplomierte Darstellerin, aber ich habe ja auch paar Semester Musikwissenschaft studiert und das wollte ich eigentlich immer abschließen. Vor zwei Jahren habe ich mir gedacht, ich möchte das jetzt auch abschließen, aber es haben mir alle gesagt, dass ich dann wieder vom Anfang beginnen müsste und ich das eigentlich eh schon alles weiß und kenne. Trotzdem glaube ich, dass ich das im Alter dann doch nochmal abschließen werde. Sonst wünsche ich mir eigentlich nur, dass ich im Hirn immer offen bleiben kann, also dass ich nicht krank werde und nicht mehr weiterdenken kann. Das wünsche ich mir eigentlich am allermeisten.

„Corona führt vor Augen, wie stark diese Gesellschaft gespalten ist“

Susanne Glass leitet seit fünf Jahren das ARD-Studio in Tel Aviv und berichtet über Israel und die Palästinensergebiete. Zuvor war sie Korrespondentin für Österreich und Südosteuropa und hat in Wien immer noch einen Zweitwohnsitz. Im Interview mit Roderick Martin spricht Glass darüber, wie sie die Corona-Pandemie im Ausland erlebt und warum sich Israel schnell wie eine Insel anfühlt. Sie berichtet zudem, dass die Krise tiefe Gräben in die israelische Gesellschaft gerissen hat und dass ausgerechnet im Corona-Jahr die Lösung im Nahost-Konflikt neuen Schwung bekam – auch dank Donald Trump.

In Krisenzeiten ist es angenehmer, in einem Umfeld zu sein, wo man Freunde und Familie hat, wo auch die staatlichen Abläufe vertraut sind. Das gibt vielen Menschen Sicherheit. Sie sind aus Deutschland, erleben die Corona-Pandemie jedoch in Israel. Wie fühlt es sich in einem fremden Land an?

Ich habe tatsächlich in diesem Jahr wieder verstärkt gemerkt, dass ich Europäerin bin. Natürlich liebe ich es, in Israel zu leben, aber für mich war es schon wichtig, dass die Möglichkeit besteht, mit einem Flugzeug nach Europa zu fliegen. Ich bin aus Deutschland und habe lange Zeit in Österreich gelebt, wo ich noch eine Wohnung habe. Jetzt war es sehr schwierig festzustellen, dass Israel ein sehr kleines Land ist und wenn dann der Flughafen geschlossen ist, fühlt es sich an wie eine Insel – denn mit dem Auto kommst du in Israel nicht weit. Hier stößt du sehr schnell an die Grenzen von Feindesländern, das ist in Europa anders.

Wie gut fühlen Sie sich aufgehoben, was die gesundheitliche Komponente betrifft?

Ich frage mich schon, wie ich als Ausländerin behandelt werden würde, wenn ich ins Krankenhaus komme und auf ein Intensivbett angewiesen wäre. Ich hoffe, sehr gut. Vor allem, wenn man bereit ist, das privat zu bezahlen. Natürlich wünsche ich mir das nicht, denn es gibt zudem noch das Problem mit der Sprache: Ich spreche zwar auf Kindergartenniveau Hebräisch und verstehe es einigermaßen, aber in so einer Situation wäre es noch einmal etwas anderes. Ich weiß aber auf der anderen Seite auch, dass die Gesundheitsversorgung in Israel sehr gut ist. Deshalb mache ich mir keine allzu großen Sorgen.

Konnten Sie im letzten Jahr nach Deutschland oder nach Österreich reisen, wo ihr Mann lebt?

Ich saß tatsächlich am vierten März in einem Flugzeug nach Wien. Als ich rausgeflogen bin aus Tel Aviv, wusste man von nichts, aber in Wien angekommen hieß es, Israel mache seine Grenzen dicht. Jeder müsse dann zuerst in Quarantäne und Ausländer kämen sowieso nicht rein. Somit war ich eines der ersten Opfer der israelischen Corona-Politik. Im übrigen waren ich und mein Mann am Weg nach Panama, wo uns dann die Corona-Pandemie ereilt hat. Wir kamen dann abenteuerlichst über Kolumbien nach Wien zurück, aber nach Israel ging dann für zweieinhalb Monate gar nichts mehr.

In Israel zu arbeiten ist immer sehr herausfordernd. Hohe Sicherheitsvorkehrungen und Checkpoints innerhalb des Landes gehören zum Alltag. Jetzt kommt eine Pandemie dazu. Wie sehr sind Sie in Ihrer Arbeit eingeschränkt?

Ach, das ist momentan schon traurig. Gerade als Auslandskorrespondentin willst du reisen und mit den Leuten reden. Vorneweg: Wir als Journalistinnen und Journalisten dürfen uns frei bewegen, auch wenn es Lockdowns gibt. Aber das bedeutet ja nicht, dass unsere Interviewpartner das können. Die Westbank ist immer wieder abgeriegelt. Vor kurzem drehte ich zum Beispiel in Bethlehem. Dort fand das erste Weihnachten ohne Pilger seit den Kreuzfahrerzeiten statt. Nun haben die Behörden für die Nächte und die Wochenenden Ausgangssperren verhängt. Nach Gaza kam ich seit Pandemie-Beginn überhaupt nicht mehr, denn da müssten wir drei Wochen in Quarantäne. Im Studio selbst haben wir auf einen Zweischicht-Betrieb umgestellt und kamen bis auf eine Ausnahme sehr glimpflich davon. Ein Tonassistent war auf Heimaturlaub in Argentinien und musste nach der Rückreise in Heimquarantäne, wo er dann Corona bekam.

Zur Geburtskirche nach Bethlehem kamen 2020 keine Pilger. Foto: Roderick Martin/Archiv

Israel ist ein hoch entwickeltes Land mit einer guten Gesundheitsversorgung. In den Palästinensergebieten schaut das ganz anders aus. Wie ist die Situation dort?

Da muss man unterscheiden zwischen der Westbank, wo die Fatah regiert und Gaza wo die Hamas herrscht. Gaza wurde tatsächlich in Grund und Boden gewirtschaftet. Da ist auch die israelische Blockadepolitik Mitschuld, die kaum Medikamente oder medizinische Geräte hineinlässt. In Gaza schaut es düster aus und ich würde mich auf keine veröffentlichten Zahlen verlassen. Noch dazu gibt es kaum Tests. Die Hamas traut sich auch keinen Lockdown zu verhängen, obwohl der in Gaza dringend nötig wäre. Die Angst ist so groß, dass der Lockdown die letzte wirtschaftliche Grundlage der Menschen zerstört und diese dann an Hunger, statt an Corona sterben. In der Westbank sieht es ein bisschen besser aus und die Patienten, die intensivmedizinische Betreuung brauchen, werden nach Israel gebracht.

Das Siedlungsgebiet der Palästinenser ist seit 2007 de facto zweigeteilt. Im Westjordanland, auch Westbank genannt, leben 2,8 Millionen Menschen. Hier regiert die Fatah unter Palästinenserpräsident Abbas. Im Gazastreifen herrsch dagegen die islamistische Hamas, die von der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Hier leben auf nur 360 km² 1,9 Millionen Palästinenser.

Viele Menschen aus der Westbank fahren nach Israel, um zu arbeiten oder weil sie dort Familie haben. Sind die Übergänge denn offen?

Die sind derzeit offen. Das kann sich aber bei jedem Zwischenfall ändern und hat gar nichts mit Corona zu tun. Dann müssen halt die palästinensischen Arbeiter, die nachts um zwei aufstehen, damit sie um sechs in Jerusalem oder Tel Aviv bei der Arbeit ankommen, an den Übergängen warten.

Israel ist zu Beginn sehr glimpflich durch diese Pandemie gekommen. Im Spätsommer stiegen dann die Zahlen rapide an und zu Spitzenzeiten im September gab es über 9.000 tägliche Neuinfektionen. Worauf ist das zurück zu führen?

Israel ist gut vergleichbar mit Österreich von der Bevölkerung. Beide Länder haben etwa neun Millionen Einwohner. Israel hat im Frühjahr schnell alles dicht gemacht und stand so nach dem Lockdown wieder gut da. Allerdings machte die Regierung dann den Fehler, das Land wieder zu schnell zu öffnen. Premierminister Benjamin Netanjahu hat auch den Leuten geraten, raus zu gehen, sich zu vergnügen und ein Bier zu trinken. Die Infektionszahlen stiegen dann so rasant an, so schnell konnte man gar nicht schauen. Das war gruselig. Tel Aviv, das als Partystadt und Mittelmeermetropole gilt, stand dabei überraschenderweise gut da. Die Höchstwerte gab es in den ultraorthodoxen und den arabischen Gemeinden. Es sind auch skandalöse Videos von Massenhochzeiten aufgetaucht, wo hunderte Menschen zusammen feierten, ohne Hygiene- und Abstandsregeln einzuhalten oder Masken zu tragen. Die Mehrheit in Israel muss dafür büßen, dass eine kleine Gruppe die Regeln ignoriert. Das führt zu Spannungen.

Die Entwicklung der Corona-Pandemie in Israel im Vergleich zu Österreich.

Sie haben bereits die ultraorthodoxe Bevölkerung angesprochen, die staatliche Vorgaben und Regeln nur ungern akzeptiert. Nun heißt es, sie wären für die zweite Corona-Welle verantwortlich gewesen. Führt das Verhalten dieser Gruppen auch zu einer Polarisierung innerhalb der israelischen Gesellschaft?

Tatsächlich führt Corona den Israelis vor Augen, wie stark die Gesellschaft in Säkulare und Ultraorthodoxe gespalten ist. Wir rezipieren im Ausland häufig immer nur den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Aber wie extrem divers die israelische Gesellschaft ist, ist vielen nicht bewusst. Bis jetzt hatten die Säkularen immer die Einstellung: „Leben und leben lassen“. Damit war gemeint, dass auch die Ultraorthodoxen ihren Platz im jüdischen Staat haben sollen. Dadurch, dass diese aber nur auf ihre Rabbis hören, die noch dazu zum gemeinsamen Beten in die Synagoge und Hochzeiten feiern aufrufen, reicht es nun den Säkularen. Ich habe Freundinnen die sagen, sie hassen die Ultraorthodoxen, denn sie seien der Grund, warum wir Corona-Risikogebiet sind und nicht reisen dürfen. 

Gibt es da politische Konsequenzen für die ultraorthodoxe Gemeinde?

Wie soll es denn Konsequenzen geben, wenn Premierminister Benjamin Netanjahu, der massiv ums politische Überleben kämpft, in seiner Koalition auf die Orthodoxen angewiesen ist? Ohne Sie schafft er keine Regierungsmehrheit mehr. Die treiben ihn vor sich her. 

Tatsächlich steht die Regierung von Benjamin Netanjahu sehr unter Druck, wie einige Umfragen zeigen. Laut Israel Democracy Institute glauben 55 Prozent, dass der Lockdown politisch motiviert war. Auch die Vertrauenswerte in Premierminister Netanjahu haben sich im Vergleich zum Frühjahr halbiert und liegen nur mehr bei 31 Prozent. Woher kommt dieses tiefe Misstrauen in die Politik?

Das Corona-Management der Regierung war tatsächlich sehr schlecht und ohne Plan. Es gab an einem Tag Ankündigungen, die am nächsten Tag wieder zurückgenommen wurden, beispielsweise über Schließungen von Restaurants oder Stränden. Dann haben die Restaurantbesitzer und andere Gruppen rebelliert und die Maßnahmen wurden wieder zurückgenommen. Es gab einfach keinen richtigen Kurs. Parallel dazu ging die Arbeitslosigkeit durch die Decke. Vor dem ersten Lockdown gab es hier drei bis vier Prozent Arbeitslose und plötzlich hatten 25 Prozent der Israelis keinen Job mehr. Ich kenne viele junge Menschen, die ihren Job verloren haben und zu ihren Eltern zurückziehen mussten. Die stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Das hat Netanjahu sehr geschadet. Sein Image als starker Mann, der auch die Wirtschaft zusammenhält, hat dadurch gelitten.

In der internationalen Berichterstattung hörte man in diesem Jahr abseits von Corona wenig aus Israel – mit einer großen Ausnahme: Die Entspannungspolitik mit einigen arabischen Staaten. Die ziemlich besten Freunde Donald Trump und Benjamin Netanjahu feierten dies auch als persönlichen Erfolg. Was können wir nach dem Wechsel im Weißen Haus nun erwarten?

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Kommentar unter dem Titel „Trump sei Dank“ schreibe. Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber man muss auch anerkennen, wenn er etwas geleistet hat. Donald Trump schaffte tatsächlich eine Entspannungspolitik zwischen Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und dem Sudan. Die Normalisierungs-Abkommen, die Trump vermittelt hat, waren vor allem getrieben von Geschäftsinteressen. Gerade, was die Emirate betrifft und was Saudi-Arabien beträfe, mit dem Israel sehr gerne ein Normalisierungs-Abkommen hätte. Da erhofft man sich Milliardengewinne. Aber das ist nicht schlimm, denn alles, was eine Entspannung in der Region bedeutet, ist von Vorteil.

Und sehr zum Nachteil der Palästinenser…

Was die Palästinenserfrage betrifft, sind wir tatsächlich nicht mehr weitergekommen. Ich bin seit fünf Jahren hier und werde ständig gefragt, wie es aussieht mit einer Zwei-Staaten-Lösung. Da musste ich immer sagen, dass nichts weitergeht und es keine Hoffnung gibt in diesem eingefrorenen Konflikt. Jetzt sehe ich, dass von einer anderen Seite Bewegung reinkommt und da finde ich es nun wichtig, dass wir mit Joe Biden einen neuen Mann im Weißen Haus haben. Er als ehemaliger Stellvertreter von Barack Obama kann auch die Palästinenser ins Boot holen, nachdem unter Trump alle Kontakte abgerissen waren. Sein neuer Außenminister ist zudem jüdischer Abstammung und auch der Ehemann von Vizepräsidentin Kamala Harris ist Jude. Diese Normalisierung mit arabischen Staaten, plus die Kombination, dass die Palästinenser mit Biden wieder reden wollen, halte ich für einen großen Hoffnungsschimmer für diese Region. Das ist eigentlich eine großartige Geschichte und kommt momentan zu kurz.

Von Großartigem zurück zu den kleinen Dingen des Lebens: Wie schaffen Sie es derzeit, von all dem Trubel abzuschalten und in ihre Komfortzone zurückzukommen?

Im Juni und Juli, als ich dann nach dieser Odyssee und einer zweiwöchigen Quarantäne wieder zurück in Israel war, hatte ich eine sehr schwere Phase. Da ging es mir auch persönlich sehr schlecht mit der Situation. Dann entschied ich, dass es nicht besser wird, wenn ich nur Trübsal blase. Ich habe jetzt angefangen, neben Hebräisch, auch Arabisch zu lernen. Ich merke auch, dass ich viel mehr für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da sein muss, weil auch da einiges abgeglitten ist. Es ist eine schwierige Zeit für uns alle. Aber ich bin privilegiert, kann arbeiten und stehe nicht vor der Existenzfrage, wie so manche Israelis. Deshalb erlaube ich es mir nicht, zu sehr zu jammern.

Weiteführende Links:

ARD-Weltspiegel: Wer profitiert bei der Annäherungspolitik?

Trump sei Dank | Die FURCHE

Corona Virus in Israel: Health Ministry

Die Geschichte Palästinas