„Vom Allerletzten zu einer wichtigen Säule des Staates“

Spätestens seit der Corona-Pandemie sollte jedem Menschen bewusst sein, welche Relevanz eine gut laufende Lebensmittelversorgung für den gesamten Staat hat. Der einfache Verkaufsmitarbeiter bzw. die einfache Verkaufsmitarbeiterin ist also mitunter dafür verantwortlich, dass das System und der Staat nicht zusammenbrechen, während einer der größten Krisen der jüngeren Geschichte. Für die Menschen, die im Verkauf arbeiten, waren die letzten Monate aber alles andere als einfach. Der Filialleiter eines Supermarktes in Wien Hernals spricht über das Geschehen und das Geschehene seit der Corona-Pandemie. *

Wie hat sich Ihr Beruf seit Corona und dem ersten Lockdown verändert?

Es hat sich sehr verändert. Um nicht zu sagen, gewaltig. Es ist nicht mehr dasselbe wie vorher. Vor allem, wenn ich zurückblicke auf den Anfang des Jahres, beim ersten Shutdown, bei der Schließung aller Geschäfte. Da gab es eine noch nie da gewesen Situation. Diese Situation war natürlich für alle Menschen etwas Neues und zutiefst eigenartig. Aber wir haben es im Einzelhandel eben besonders stark gemerkt und waren ja mitunter die Branche, die am meisten von Veränderungen im Alltag betroffen war. Dieser eine Dienstag an dem die Hamsterkäufe stattfanden. So etwas habe ich in 20 Jahren noch nicht gesehen. Wir haben das Vierfache (!) an geplantem Umsatz gemacht. Unsere Regale sind ja in der Regel prall gefüllt mit Produkten. An dem Tag war, aber alles anders als sonst. Wir haben uns plötzlich gegenseitig zwischen den Regalen sehen können, weil alles leer war (lacht). Und wenn ich sage leer, dann meine ich auch wirklich komplett leer. Wir hatten praktisch nichts mehr im Geschäft – es war alles weg. Das war schon auch zum Teil beängstigend, wenn man sieht, welche Dynamik das Ganze entwickelt. Diese Bilder habe ich, aber natürlich auch meine Mitarbeiter noch immer vor Augen und es lässt uns auch nie ganz los. Das war eines dieser prägenden Ereignisse, an die man sich den Rest seines Lebens erinnert.

Die leeren Regale vor dem ersten Lockdown   Foto: Unbekannt

Herrscht mittlerweile eine andere Alltagsdynamik in Ihrem Geschäft?

Naja, der Alltag hat sich natürlich komplett abgewandelt. Das Tragen der Maske, der Mindestabstand zwischen Kunden aber auch zwischen Mitarbeitern, das explizite Desinfizieren von gewissen Gegenständen etc. Der Unterschied zwischen dem ersten Lockdown im März und dem zweiten Lockdown vergangene Woche ist aber immens. Die Leute dürften jetzt mittlerweile verstanden haben, dass sie nicht alles leer räumen müssen, um zu überleben. Die Supermärkte haben trotzdem offen. Es ist nicht notwendig, sich um das letzte Stück Klopapier zu streiten. Man muss keine Angst haben, dass es ab morgen keine Nudeln oder Reis oder andere Produkte gibt. Ich glaube, dass die Menschen sich dieser Tatsache schon bewusst geworden sind und keine Angst mehr verspüren.

Abgesehen von den Hamstereinkäufen, die ja noch immer teilweise vorkommen in den Geschäften, wie ist das derzeitige Konsumverhalten Ihrer Kunden*innen?

Die Menschen kaufen bestimmte Warengruppen vermehrt. Vor allem eingelegte Sachen verkaufen wir mittlerweile um ein Vielfaches mehr als davor. Konserven im Allgemeinen sind außerordentlich beliebt. Von denen haben wir vor Corona normalerweise zu viel als zu wenig gehabt, jetzt ist es aber genau umgekehrt. Bei Nudeln oder Reis sehen wir auch, dass nicht mehr die normalen Packungsgrößen gekauft werden, sondern die XXL-Größen oder eben die Familienpackungen. Die Menschen wollen jetzt halt immer notfalls etwas zu Hause haben. Sicher ist sicher.

Also haben die Menschen doch Angst, dass sie eines Tages nicht mehr in die Supermärkte gehen dürfen?

Ein wenig Angst vielleicht, ja, aber im Vergleich zum ersten Lockdown sind das ja nicht einmal Peanuts. Die Menschen kaufen halt, um die Angst in ihren Köpfen ein wenig zu beruhigen oder eben auch um ihr Gewissen einfach zu beruhigen. Mit dem Gedanken, dass man zuhause eh etwas auf Reserve hat, schläft es sich nachts besser. Aber natürlich, so wie uns die Bilder der leeren Regale nicht mehr aus dem Kopf gehen, so geht es auch den Kunden. Und das wird auch lange so bleiben, dass die Kunden immer mit ein wenig, – Angst ist vielleicht das falsche Wort, – aber zumindest mit einer gewissen Vorbelastung einkaufen gehen.

Sie hatten nicht das Privileg, auf Homeoffice umzusteigen. Sie waren diejenigen die stets vor Ort arbeiteten und sich der ständigen Gefahr einer Infektion aussetzen mussten. Hatten Sie oder Ihre Kollegen*innen eigentlich Angst? 

Um ehrlich zu sein hatten wir gar nicht die Zeit, um zu überlegen, ob wir Angst haben sollten oder nicht. Wir kamen aus dem Arbeiten gar nicht heraus, bis wir uns dann einmal auch die Frage gestellt haben, wie gefährlich das eigentlich auch für unserer Gesundheit ist. Wir sagen bei uns in der Filiale auch immer wieder, dass viele von uns bestimmt schon mal infiziert worden sind, ohne es überhaupt zu merken. Aber ja, was soll man machen, das ist halt Berufsrisiko. Wir können unseren Job eben nicht von zuhause erledigen und sind nun mal dieser Gefahr ausgesetzt. Aber wir könnten unseren Job nicht ausüben, wenn wir ständig Angst hätten, Corona zu bekommen. Dann könnten wir gleich zu sperren. Es ist halt jetzt einfach part oft the job. Angst wäre damals wie heute natürlich gerechtfertigt. Die Möglichkeit oder die Zeit, Angst vor Corona im Einzelhandel zu haben, geht aber einfach nicht, Punkt.

Kam einer von Ihren Mitarbeitern*innen auch auf die Idee, Hamsterkäufe zu tätigen, weil er oder sie Angst hatte, dass die Supermärkte bald schließen?

Nein, auf die Idee kam niemand. Warum auch? Es war von Beginn der Pandemie an klar, dass die lebenserhaltenden Geschäfte nicht zugesperrt werden. Uns wurde das firmenintern auch genau so weitergeleitet. Wir wussten, dass wir ganz normal offen haben werden und es deshalb keine Notwendigkeit gibt, für unsinnige Einkäufe. Nichtsdestotrotz kann ich nur für meine Filiale sprechen. Kann schon gut sein, dass Mitarbeiter in anderen Filialen auch der Meinung waren, dass Hamstereinkäufe notwendig sind. Bei uns war das nicht der Fall, weil es ja schlichtweg unnötig ist.

Wenn man in einen Supermarkt geht, verspürt man in letzter Zeit eine gewisse Spannung. Sei es zwischen Kunden*innen untereinander oder auch zwischen Kunden*innen und Verkäufer*innen. Es wird auch immer öfter von vermehrtem aggressiven Verhalten seitens der Kunden*innen gesprochen. Wie erleben Sie und Ihre Mitarbeiter*innen das?

Ja, da haben Sie vollkommen recht, diese Spannung ist auf jeden Fall zu spüren. Manchmal fühlt es sich so an, als bräuchte es nur einen kleinen Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringen würde. Aber es ist schwer in Worte zu fassen. Einerseits fungiert der Supermarkt derzeit auch als eine Art Forum. Menschen treffen sich zufällig hier, die sich schon seit langer Zeit nicht mehr sahen und fangen nette und freundliche Gespräche an. Wildfremde Menschen sprechen auch miteinander, natürlich nur über das eine Thema, aber sie reden miteinander. Der Supermarkt ist also so ein Platz öffentlichen Austausches geworden, da man ja sonst nirgends raus darf. Das bringt aber auch Gefahren. Es gibt einfach Kunden*innen, die zu uns kommen, um ihren Frust auszulassen und den lassen sie entweder an anderen Kunden oder an meinen Mitarbeitern aus. Für meine Mitarbeiter ist die ganze Situation natürlich manchmal sehr schwer. Wir versuchen, unseren Kunden alle Wünsche zu erfüllen. Vor allem, da wir nach dem ersten Lockdown nichts mehr im Geschäft hatten. Da waren wir gewohnt zu sagen „Nein, tut mir leid, haben wir nicht mehr“ oder „Ist leider aus, ich weiß nicht, wann wir das wiederbekommen“. Jetzt wollen wir, dass unsere Kunden wieder alles zur Verfügung gestellt bekommen. Manchmal aber, ist das Beste, für unsere Kunden auch nicht gut genug. Da kann es natürlich schon zu Spannungen und zu einer hitzigen Stimmung kommen. Aber wir bleiben cool und versuchen immer alles möglichst friedlich und durch den Dialog zu lösen.

Bereuen Sie in Zeiten wie diesen manchmal, dass Sie sich für einen Job im Verkauf entschieden haben?

Nein auf keinen Fall. Ich liebe meinen Job, ich liebe die Menschen und ich liebe den Kontakt mit meinen Mitmenschen. Auch, wenn die letzten Monate anders waren als all die Jahre davor bin ich noch immer sehr froh, mich für den Verkauf entschieden zu haben. Ich würde es für keinen anderen Job eintauschen wollen. Ich bin stolz, ein sogenannter System-Erhalter zu sein.

Dass es die Verkäufer*innen in den Supermärkten gerade jetzt nicht sehr einfach haben, ist vielen Menschen bewusst und der Einzelhandel hat deshalb auch viele Solidaritätsbekundungen durch die Gesellschaft erfahren. Erhalten die Supermärkte jetzt die Anerkennung, die sie seit langem verdient haben?

Absolut, in diese Richtung hat sich extrem viel verändert. Das ist ein Thema, über das ich stundenlang reden könnte. Der Verkauf wurde seitdem ich mich erinnern kann immer sehr schlecht dargestellt. Es wurde oft als eine dreckige und undankbare Arbeit für Menschen, die sonst nichts im Leben erreicht haben, dargestellt. Ich weiß nicht, wie oft ich in meinem Leben gehört habe, „Die arbeitet ja nur beim LIDL, Billa etc. bei der Kasse“ oder „Wenn du nichts kannst und Geld brauchst, dann gehst du in den Handel“. Seit Jahren höre ich solche oder ähnliche Dinge von meinen Mitarbeitern und jetzt? Auf einmal bekommen sie von jeder Seite Lob zu gesprochen und werden als die System-Erhalter gepriesen. Vom „Allerletzten“ zu einer wichtigen Säule des Staates. Ich finde es eigentlich sogar sehr traurig und auch etwas scheinheilig, dass etwas so Einschneidendes wie eine Pandemie passieren muss, damit die Menschen aufwachen und bemerken, wer eigentlich dafür sorgt, dass sie jeden Tag etwas zu Hause am Teller haben. Aber seit dieser verspäteten Anerkennung spüren wir die Wertschätzung der Gesellschaft, aber eben auch von unseren Kunde sehr stark. Die ganzen Solidaritätsaktionen haben mich schon sehr berührt, oder auch wenn Kunden uns einfach mal ihren Dank für unsere geleistete Arbeit aussprechen. Es wurde aber auch Zeit dafür!

Diese Anerkennung für den Handel wurde natürlich auch von Seiten der Regierung ausgesprochen. Es gab ja auch bereits den Vorschlag, dass Arbeiter*innen im Einzelhandel eine Geldprämie bekommen sollen. Haben Sie schon etwas davon gesehen oder waren das nur leere Versprechen?

Ja, wir haben etwas bekommen. Es war eine kleine, aber feine Geldprämie, die wir von unserer Firma bekommen haben und das finde ich auch gut. Ich finde auch, dass nicht nur wir eine Prämie erhalten sollten, sondern auch all jene Menschen, die zurzeit im medizinischen Bereich arbeiten. Sie sind die wahren Helden dieser Krise. Sie verdienen dafür auch eine Prämie. Wir dürften laut Arbeitgeber bis Ende des Jahres nochmals einen Zuschuss oder einen Gutschein erhalten, aber es ist uns eigentlich ganz egal. Das ist unser Job, wir machen ihn gerne und freuen uns, dass wir dementsprechend entschädigt werden.

Aber reicht Ihnen das auch? Also, fühlen Sie sich mit ein bisschen Applaus und einer kleinen Prämie genug wertgeschätzt für die harte Arbeit, die Sie in den letzten Monaten verrichtet haben?

Ich bin generell der Meinung, dass Menschen, die im Handel arbeiten viel zu schlecht verdienen. Für die Rolle unserer harten Arbeit in der Gesellschaft sind das in Wahrheit nur Peanuts, die wir bekommen. Aber das ist dann eine Grundsatzfrage. Warum verdient ein Manager, der nichts fürs Allgemeinwohl tut, 5000 Euro im Monat und meine Kassiererin bekommt 1500 Euro. Ich denke, dass diese Anerkennungen, also Prämien, Applaus etc. eigentlich der erste Schritt sein sollten. Also der erste Schritt in Richtung höhere Wertschätzung des Handels. Aber ich bin halt doch „nur“ ein Filialleiter und werde nicht die Anerkennung und die Gehälter einer ganzen Branche verändern können. Ich würde es mir wünschen, dass ich es könnte, aber ich kann es nicht. 

Corona macht natürlich auch nicht vor Ihren Mitarbeitern*innen halt. Gibt es bestimmte Firmenrichtlinien, die eingehalten werden müssen, wenn es einen positiven Fall in Ihrem Team gibt? Wie müssen Sie als Filialverantwortlicher vorgehen?

Ja gibt es, es gibt eine interne Covid-Hotline, ein internes Team und einen internen Covid-Verantwortlichen, die eben nur für Corona-Fälle zuständig sind. Die Vorgehensweise ist sehr strikt von uns einzuhalten.

Wie viele Mitarbeiter*innen könnten Ihnen ausfallen bevor Sie sagen, jetzt funktioniert es nicht mehr, das Geschäft aufrecht zu erhalten?

Das ist eigentlich eine sehr gute Frage, die ich mir so eigentlich noch nie gestellt habe. Es ist so, dass ich in meiner Filiale 20 Mitarbeiter habe und ich für den Start meines Geschäfts in der Früh mindestens sechs Leute brauche, um vernünftig starten zu können. Nachmittags sind es dann nochmal vier, die dann mit der Vormittagsschicht wechseln. Es müssten also mehr als 50% meines Teams ausfallen, damit wir zusperren müssten, beziehungsweise erst gar nicht aufmachen könnten. Aber da gibt es schon Mittel und Wege sich zu helfen. Notfalls machen gesunde Mitarbeiter Überstunden, wenn das nicht geht dann fragen wir in unseren firmeninternen Nachbarfilialen nach, ob sie uns Arbeiter leihen könnten. Wenn selbst das nicht geht, dann muss das Ganze zentralseitig von der Firma übernommen werden und Mitarbeiter aus ganz Wien können zu uns geschickt werden, damit die Aufrechterhaltung des Geschäfts gewährleistet werden kann. Wir hatten Gott sei Dank noch keinen Corona Fall bei uns. In anderen Filialen war das aber schon der Fall, die haben aber deswegen auch nicht gleich zusperren müssen. Also kein Grund zur Sorge!

Welche Lehren wird der Einzelhandel, aber auch Sie ganz persönlich aus dieser Pandemie ziehen?

Dem Einzelhandel sollte die Pandemie auf jeden Fall eine Lehre gewesen sein. Es braucht eine bessere, aber auch eine schnellere Organisation. Die Verteilung von Lebensmitteln und Hygieneartikel muss in so einer Extremsituation ohne Wenn und Aber einfach schneller funktionieren. Es muss eine schnellere Reaktion auf die Nachfrage geben, auch wenn diese durch Hamstereinkäufe exponentiell in die Höhe steigt. Denn man hat gesehen, wer die Leidtragenden sind, wenn die Geschäfte leer sind. Weder die Firma noch die Mitarbeiter, sondern all jene Kunden, die ihren normalen Einkauf machen wollen, aber wegen unerklärlichen Hysterien und einer fehlerhaften oder nicht vorausschauenden Planung der Firma nun vor leeren Regalen stehen. Sie sind die Leidträger in dieser Situation. Das darf so nie wieder vorkommen.

Ich persönlich ziehe auch einige Lehren aus dieser Pandemie. Ich bin noch immer stark beeindruckt von der noch nie da gewesenen Wertschätzung, der Anerkennung und den Reaktionen. Diese Wertschätzung sollte man aber nicht nur den sogenannten System-Erhaltern entgegenbringen, sondern eigentlich jedem Menschen. Und ich bin einmal mehr froh, in Österreich leben zu dürfen, da wir wieder einmal gesehen haben, dass es uns sogar in einer Krise wie dieser, an nichts fehlt. Und ich glaube, dass die Menschen das jetzt mittlerweile auch bemerken und schätzen. Ich hoffe es zumindest.

*Aus Gründen des Datenschutzes wurden weder Name der Supermarktkette noch der des Filialleiters genannt.

„Die sollte man alle nach Hause schicken“ – Die Gedanken eines Geflüchteten

Der kurdische Syrer Agid Taher ist vor knapp acht Jahren als Flüchtling nach Österreich gekommen und betreibt seit 2015 einen sehr gut laufenden Friseursalon in der Nähe des Floridsdorfer Marktes. Ihm gelang genau das, was vielen Geflüchteten nicht gelungen ist: eine Integration in den Arbeitsmarkt und in die soziale Gesellschaft. Warum hat er das geschafft, wovon so viele träumen und wie ist die Meinung eines Geflüchteten über Geflüchtete, die sich in der Kriminalität wiederfinden?

Herr Taher, warum ist es denn genau ein Friseursalon geworden?

Das ist eine gute Frage. Das hat sich eigentlich einfach so ergeben. Wir hatten damals mit Freunden in Traiskirchen (Annahme. Flüchtlingslager) beredet, was wir mit unserem Leben machen wollen und wie wir am schnellsten Geld verdienen können. Und ich hatte bereits einige Freunde, die in Österreich waren und sich als Friseure selbständig gemacht hatten und die empfahlen mir auch diesen Weg zu gehen. Außerdem hatte ich schon ein bisschen Erfahrung mit dem Haare schneiden zu Hause in Damaskus gemacht, deshalb war es dann naheliegend, Friseur zu werden.

Denken Sie, dass es als Ausländer*in einfacher ist sich Selbständig zu machen, anstatt in einer großen österreichischen Firma zu arbeiten?

Ja, auf jeden Fall. Als augenscheinlicher Ausländer ist es sehr schwer, in eine Firma hier in Österreich zu kommen. Das kann ich aus meiner, aber auch aus der Erfahrung meiner Freunde sagen. Zusätzlich kommt dann auch die Sprachbarriere. Man kann von uns nicht erwarten, innerhalb von wenigen Jahren fehlerfreies Deutsch zu sprechen. Das geht nicht, das kann ich bis heute auch nicht – zumindest nicht perfekt – aber das ist leider oft eine Voraussetzung, um in einem Unternehmen arbeiten zu dürfen. Aber ich verstehe das auch zu einem gewissen Teil, deshalb wollte ich ja selbständig werden. Hier bin ich mein eigener Chef und habe mit niemandem Probleme.

Bis Sie sich aber hier in Österreich niederlassen konnten und ihr eigenes Geschäft eröffneten, war es doch ein sehr steiniger Weg. Wie sah denn ihr persönlicher Weg von Damaskus bis zum selbstständigen Friseur in Wien Floridsdorf aus?

Ja, es war tatsächlich kein einfacher Weg hier her zu kommen. Ich bin mit 19 Jahren aus der Nähe von Damaskus im Zuge des syrischen Bürgerkriegs geflohen. Ich habe meine Eltern zurücklassen müssen, weil diese ihre Heimat und ihr Haus nicht einfach so aufgeben wollten. Ich wollte das natürlich auch nicht! Manchmal muss man aber Entscheidungen treffen und meine Eltern waren auch dafür, dass ich Syrien verlassen soll und hier ein neues Leben beginne. Es gab und es gibt noch immer so gut wie keine Zukunft für junge Menschen in Syrien. Daran hat sich in den letzten acht Jahren so gut wie nichts geändert. Gerade für mich als Kurden in Syrien war das Ganze dann noch einmal schwerer. Die Flucht nach Österreich und die Anfangszeit war natürlich alles andere als leicht. Auf der Route von Damaskus nach Wien trifft man auf viele verschieden Menschen, auf viele verschiedene Probleme und auch auf viele verschiedene Grenzen. Als ich dann endlich in Österreich angekommen war, gab es praktisch keine größeren Probleme mehr. Mir wurde in sehr kurzer Zeit ein positiver Asylbescheid ausgestellt, ich habe viele Deutsch- und Kulturkurse besucht und bin mit vielen anderen syrischen Flüchtlingen in Kontakt gekommen, was mir natürlich sehr geholfen hat.

Ihr Friseursalon erfreut sich hoher Beliebtheit in der Gegend. Sie haben viele Stammgäste, die Wirte*innen in der Umgebung kennen und schätzen Sie und Sie plauschen auch gerne mal länger mit den Park-Sherifs vor ihrem Geschäft, damit diese ein Auge zudrücken, wenn der Parkschein einer Ihrer Kunden*innen ausläuft. Sehen Sie sich als ein perfektes Beispiel für Integration?

Die Kurzparkzone vorm Friseursalon. Foto: Erik Kalmar

Ja, das stimmt alles(schmunzelt). Ich sehe mich als sehr gut integriert, aber ich sehe das auch nicht als große Sache. Österreich nahm mich auf als ich Schutz brauchte, dafür bin ich sehr dankbar und ich möchte dem Land und der Gesellschaft etwas zurückgeben. Es ist nicht so schwer, sich zu integrieren, wenn man arbeiten will, wenn man die Sprache lernen will, wenn man die Kultur lernen will. Man muss nur wollen und Ziele haben, dann geht das ganz einfach und es gibt sehr viele Syrer wie mich, die sich sehr gut integriert haben und ein anständiges Leben führen.

Sie haben gerade gesagt, es sei nicht so schwer sich zu integrieren. Warum glauben Sie gibt es Flüchtlinge, die es dann trotzdem nicht schaffen? 

Es gibt viele Gründe, warum sich Flüchtlinge nicht integrieren können. Manche können nicht, manche wollen nicht. Das ist ein schwieriges Thema. Aber ich verstehe diese Menschen nicht, die hierherkommen als Geflüchtete und dann kein anständiges Leben in Österreich führen, sondern kriminell werden. Es gibt so viele von uns die das schaffen – warum also die nicht auch?

Mögliche Gründe könnten zum Beispiel ein abgelehnter Asylantrag sein oder die mangelnde Zukunftsperspektive am Arbeitsmarkt. Das führt zu Frustration und Aggression und im schlimmsten Fall in die Kriminalität. Glauben Sie nicht, dass Sie auch auf die schiefe Bahn hätten geraten können, wenn Ihnen ihr Asylantrag nicht anerkannt worden wäre und Sie deswegen Ihren Friseursalon nicht hätten eröffnen dürfen?

Natürlich hätte das bei mir genauso sein können, aber ein abgelehnter Asylantrag ist kein Grund, kriminell zu werden. Ich verstehe die Frustration und die Aggressionen der anderen Flüchtlinge. Wir sind hierhergekommen mit dem Traum von einem besseren Leben für uns und unsere Familie und dann ein „Nein“ oder ein „Antrag negativ“ zu bekommen, ist die Hölle. Aber dann muss man das so zur Kenntnis nehmen. Dann wollte Gott nicht, dass es dazu kommt, dass du in Österreich bleibst. Dann musst du es wo anders probieren oder einen anderen Weg suchen. Dennoch ist das alles kein Grund, kriminell zu werden, denn die Flüchtlinge, die dann kriminell werden, – ganz egal, ob Syrer, Afghane oder Iraker – werfen ein schlechtes Bild auf alle von uns und wir müssen dann dieses schlechte Image ausbaden. Und haben dann in der Folge mit unberechtigter Ausländerfeindlichkeit und Anfeindungen zu kämpfen. 

Sie meinen also, dass durch kriminelle Aktionen von Einzelnen eine ganze Ethnie verdächtigt wird?

Ja, absolut. Wenn ein Syrer jemanden umbringt, wird sofort gesagt: “Alle Syrer sind so, wir müssen aufpassen vor denen”. Vor einiger Zeit gab es mal einen Syrer, der in Österreich jemand umgebracht hat und das hast du dann in allen Medien gelesen und gehört. Bei mir im Salon höre ich auch manchmal österreichisches Radio und da haben sie auch oft darüber berichtet. Jetzt sitzt zum Beispiel ein Kunde auf dem Sessel vor mir und hört im Radio, dass ein Syrer einen Österreich mit einem Messer getötet hat und ich habe das Rasiermesser in der Hand und will ihm den Bart rasieren. Das ist keine angenehme Situation für ihn und auch nicht für mich (lacht). Und dann kommen die Kunden zu mir und fragen „Hast du das gehört?“, „Kanntest du ihn?“ und ich antworte freundlich mit “nein”. Aber genau das ist es. Wegen eines kriminellen und idiotischen Syrers sind wir alle dann unter Generalverdacht und alle Medien streichen die Nationalität des Täters immer extra raus. Das verstärkt das Ganze noch einmal extra.

Es gab diese Woche ja einen islamistischen Anschlag eines tschetschenischen Flüchtlings in Paris, bei dem ein Lehrer enthauptet wurde. Hier wurde also wieder auf Flüchtlingsstatus und die Nationalität verwiesen. Finden Sie, dass in diesem Fall hier erneut durch die Medien, zu viel Augenmerk auf die Nationalität des Täters gelegt wird?

Das ist ein schwieriger Fall. Frankreichs Probleme mit Kriminalität und Terror sind nicht mit denen in Österreich zu vergleichen. Dort ist es schlimmer als bei uns, aber ja, was natürlich wieder hängen bleibt ist, dass er ein Flüchtling war und dass er Muslim war. In diesem Fall befinden sich eben alle Tschetschenen unter Generalverdacht. Ich verstehe manchmal nicht, warum die Nationalität eine so große Rolle bei Gewaltanschlägen spielt. Den Anschlag verübt hat ein einzelner Mensch und nicht eine ganze Nation oder eine ganze Ethnie. 

Durch Vorgespräche mit Ihnen weiß ich, dass Sie eine sehr radikale Meinung zum Thema Abschiebung von kriminellen Flüchtlingen haben, aber ist das nicht eigentlich komplett konträr mit Ihrer eigenen Lebensgeschichte?

Quelle: Innenministerium 

Nein, weil ich und ein Großteil der Flüchtlinge wie gesagt sehr gut angepasst sind. Aber es gibt leider viele, die nicht wollen, die nur nach Kriminellem aus sind und Österreich ausnützen. Und genau über diese Leute spreche ich. Über die, die nichts außer Ärger im Sinn haben. Die sollte man rigoros abschieben. Da bringt oft kein Reden und keine Intervention. Diese Menschen hatten ihre Chance hier oder auch nicht, aber kriminell zu werden und sich in Österreich an keine Regeln zu halten geht nicht. Damit schaden sie Österreich und all jenen Flüchtlingen, die sich gut integrieren und dieses schlechte Image dann auch an sich kleben haben. 

Da muss die Regierung einfach hart sein und diese Menschen wieder in ihre Heimatländer schicken. Aber es geht ja nicht unbedingt nur um Flüchtlinge. Vor einigen Monaten gab es in Favoriten zwischen Türken und Kurden Zusammenstöße und Schlägereien wegen irgendwelcher Probleme. Aber ich meine, wo sind wir da? Wir sind in Österreich, mitten in Europa, während Türken und Kurden anfangen, Probleme aus ihren Heimatländern hier auf den Straßen auszutragen. Die sollen alle nach Hause gehen. Die sollte man alle nach Hause schicken. Bei uns Zuhause in Syrien oder in der Türkei würden die sich das nie trauen. Wenn die sich bei uns so benehmen würden, würden sie für den Rest ihres Lebens eingesperrt werden, die würden nie wieder das Tageslicht sehen. Das ist ja das Traurige daran, die Leute flüchten aus ihren Heimatländern, weil dort zu viel Gewalt, Krieg, Korruption und Verfolgung herrscht und dann sind sie hier und können sich nicht benehmen. 

Ich sehe und verstehe, dass das ein sehr emotionales Thema für Sie ist aber Österreich ist nun mal ein Rechtsstaat und muss sich an Gesetze und Recht halten und kann nicht einfach so Menschen des Landes verweisen. Menschen können nur zurück in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, wenn Abkommen mit den Ländern herrschen und die Rückkehrer keine menschenverachtenden Zustände erwartet. Verstehen Sie, dass es in einer Demokratie Dinge gibt, die nicht einfach so zu vollstrecken sind?

Quelle: Innenministerium 

Natürlich weiß ich, dass Österreich eine Demokratie ist und ich bin sehr dankbar dafür. Aber ich glaube, dass in manchen Fällen einfach stärker durchgegriffen werden sollte und wenn es sich mit dem Gesetz überschneidet, dann muss man einen anderen Weg finden. Ich denke aber, dass zu viel Demokratie und vor allem Bürokratie in diesem Fall schadet. Man hat das Problem und man sieht das Problem, aber man kann nichts dagegen machen. Das ist nicht gut so. Der Staat Österreich wird dabei an der Nase herumgeführt und lächerlich gemacht. Im Endeffekt nicht von Flüchtlingen, sondern von sich selber. 

Aber nur durch dieses demokratische Grundsystem war es Ihnen überhaupt möglich, nach Österreich zu kommen und Ihr Leben aufzubauen. Da hatte die Demokratie doch ihre Vorteile?

Die Demokratie ist auch etwas Gutes und ohne diese wäre ich auch nicht in Österreich und könnte jetzt nicht arbeiten. Aber trotzdem denke ich, dass zu viel Demokratie schaden kann, wenn sie sich selber im Weg steht.

Ulf Küch, Chef der Sonderkommision Asyl in Deutschland hat vor zwei Jahren in einem Gespräch gesagt „Echte Flüchtlinge sind weniger kriminell als Einheimische“. Gemeint waren damit vor allem Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan. Bestärkt Sie das in Ihrer Meinung, dass tatsächlich ein Großteil der Menschen einfach nur ein normales Leben in Europa führen möchte?

Ja, es ist so. Ich hatte immer das Gefühl, dass die meisten Menschen, die hierherkommen einfach nur ein normales Leben führen möchten. Gerade Menschen wie ich oder andere Syrer, Afghanen, Iraker, die aus direkten Kriegsgebieten kommen, sind einfach nur Gott dankbar dafür, dass er uns ein besseres Schicksal ermöglicht hat und wir hier in Ruhe unser Leben verbringen können ohne Angst vor Krieg haben zu müssen. Leider gibt es eben diese Ausnahmefälle immer wieder und überall. Egal ob Syrer, Türke oder Afghane, gegen diese Leute muss man etwas machen. Nur so können alle friedlich zusammen miteinander leben.

Welche Veränderungen und Verbesserung würden Sie sich also im Zuge der Integration von Österreichs Seite aus wünschen, damit die Zahl an gut integrierten Flüchtlingen weiter steigt?

Ich würde mir wünschen, dass jene Leute, die wirkliches Interesse daran haben, etwas aus sich zu machen und gerne hier in Österreich sind, noch mehr Integrationsarbeit leisten. Noch mehr Deutschkurse, noch mehr Kulturkurse und bessere Chancen am Arbeitsmarkt. Nur, wenn man die Werte, Kultur und Sprache eines Landes beherrscht, kann eine perfekte Integration gelingen. Da muss viel von der Person kommen aber der Staat muss auch viel dafür machen. Aber ich glaube am Ende lohnt es sich für beide. Menschen, die zunächst faul sind und nicht arbeiten möchten, die kann man anfangs schon versuchen zu motivieren, aber wenn irgendwann gar nichts mehr hilft und sich die Person weigert, die gesellschaftlichen Werte anzunehmen und nicht arbeiten möchte, dann gehören sie meiner Meinung nach abgeschoben.

Wie sehen die Zukunft Österreichs? Glauben Sie, dass trotz eventuell vorhandener Parallelgesellschaften und Integrationsproblemen ein friedsames Zusammenleben in den nächsten Jahren in Österreich möglich sein wird?

Das weiß nur Gott und die Zukunft alleine. Ich hoffe es. Ich bin auch optimistisch, ich war schon immer optimistisch. Ich glaube, dass Österreich ein Vorbild dafür sein könnte, wie man es schafft, viele verschieden Kulturen unter einen Hut zu bringen. Man muss aber aufpassen, dass es nicht zu viel wird und die Kulturen sich gut vermischen und eine friedliche Gesellschaft existiert – und nicht mehrere, sich verachtende Parallelgesellschaften, denn das führt auf kurz oder lang zu großen Problemen, die dann schwer bis gar nicht mehr zu beheben sind.