Ein Leben für das Radio – Ein Portrait über Martina Rupp

Ein Leben für das Radio – Ein Portrait über Martina Rupp

Von Eva E. Zecha

Im August 2021 ist eine der bekanntesten weiblichen Radiostimmen Österreichs in Pension gegangen. Martina Rupp hat populären Sendungen wie dem Ö3-Wecker oder „Guten Morgen am Sonntag“ ihre Stimme verliehen. In der ORF-Informationssendung „Konkret“ hat sie Konsument:innen über aktuelle Themen zu Verbraucherschutz und Zuseher:innen-Fragen aufgeklärt. In diesem Interview erzählt Martina Rupp von ihrer 42-jährigen Tätigkeit beim ORF.

Als 18-Jährige begann Martina Rupp ihre Karriere beim Radio, und wurde sogleich mit der geschlechterstereotypen Arbeitsatmosphäre der frühen Achtzigerjahre konfrontiert. „Ich habe immer ganz klar gesagt, was ich nicht so gut finde und dass sie das bitte ändern sollen.“, „Ich war mit 18 genauso drauf wie jetzt. Genauso feministisch.“, sagt Martina Rupp heute, und dass sie mit ihrer Einstellung damals bei den männlichen Kollegen ordentlich aneckte.

© accelent

„Ich war mit 18 genauso drauf wie jetzt. Genauso feministisch.“

Notorisches Unterbrechen, das Rauchen während Redaktionssitzungen, untergriffige Bemerkungen gegenüber Frauen. Bei den gesellschaftlichen, wie auch den rechtlichen Rahmenbedingungen, hat sich in den vergangenen 40 Jahren, nicht zuletzt durch die beherzten Initiativen von emanzipierten Persönlichkeiten wie Johanna Dohnal, oder Gesetzesänderungen wie die Einführung des sogenannten „Pograpsch-Paragrafen“, viel bewegt. Aber auch bei den Fernsehsendern hat ein neues Frauenbild Einzug gehalten, „und das ist durchaus ein Erdbeben, weil früher musstest du 35 Jahre jung, 1,75m groß, 55 Kilo schwer sein. Oder du warst der Typ ‚goschert, aber lustig‘. Nein, das hat sich angepasst.“, so die ehemalige Moderatorin. Dass das optische Erscheinungsbild im Fernsehbereich nach wie vor wichtig ist, sei nicht von der Hand zu weisen, aber Faktoren wie Kompetenz und Erfahrung haben jetzt, vor allem für Frauen, mehr Gewicht bekommen.

Die Anfänge

Ihren Werdegang beim ORF hat Martina Rupp nie bereut. Der Grundstein ihrer Karriere wurde mit der Vertonung eines Hörerbriefes gelegt, den die damals 15-Jährige eingeschickt hatte. Über das Zeilenhonorar freute sie sich seinerzeit gewaltig. Heute sagt die 60-Jährige über dieses Erlebnis: „Radio war für mich tatsächlich das Größte. Das größte Medium, die größte Kunstform, das Spannendste … Dass mir der Einstieg gelungen ist, und dass ich mich halten und weiterentwickeln konnte, hat mich so beglückt in meinem Leben.“

„Ich war die erste Frau in einem DJ-Studio in Österreich, die erste, die CDs gespielt hat.“

Das redaktionelle Handwerk lernte die junge Studentin beim Radiosender Ö3. Dazu gehörten unter anderem das Schneiden auf analogen Bandgeräten, sowie Interviewführung und Sprechtechnik. Das Dreifach-Studium Publizistik, Politikwissenschaft und Pädagogik hängte die engagierte Sprecherin bald darauf an den Nagel, und übernahm die Leitung über die von ihr moderierte Jugendsendung „Zickzack“. ORF-Persönlichkeiten wie Peter Rapp, oder Künstler wie der junge Falco zählten zu ihren beruflichen Wegbegleitern. Martina Rupp erinnert sich: „Am Anfang, als ich bei Ö3 begonnen habe, beim ‚Treffpunkt‘, waren alle ganz jung. Ich habe den Falko interviewt und war natürlich wahnsinnig unsicher, und er war noch viel unsicherer. Alle standen ganz am Anfang.“

Auch auf den Zug der rasanten technologische Entwicklung, der in der Unterhaltungsbranche stattfand, sprang Martina Rupp auf: „Ich war die erste Frau in einem DJ-Studio in Österreich, und die erste, die CDs gespielt hat.“

Rückblick und Ausblick

Die letzten sieben Jahre moderierte Frau Rupp sonntags den ‚Ö3-Wecker‘. Wo andere sich darauf freuen, gemütlich ausschlafen zu können, begann der Tag für die Moderatorin bereits um 3:30 Uhr. Dazu sagt die nunmehrige Pensionistin: “In meinem Alter ist das eigentlich furchtbar. Trotzdem habe ich mich dabei ertappt, wie ich dort stehe, einen Mix mache und mir denke: Es war so auf den Punkt genau, und so richtig. Das ist es, das ist mein Job! … Mich hat es wahnsinnig glücklich gemacht. Ich würde es jederzeit genauso wieder machen.“

„Mich hat es wahnsinnig glücklich gemacht.

Ich würde es jederzeit genauso wieder machen.“

Über die Zukunft des Radios macht sich die langjährige Medienschaffende keine Sorgen. Schon vor 40 Jahren, mit dem Aufkommen der ersten Musikvideos und MTV wurde der Abgesang auf das Radio gestartet. Warum es nach wie vor das Radio braucht, erklärt Martina Rupp folgendermaßen: „Unsere Hörer brauchen verlässliche Begleiter in den Tag. Brauchen Menschen, die sich mit aktuellen Ereignissen beschäftigen, diese einordnen und kommentieren. Die wenigsten Leute kommen dazu, sich Pressekonferenzen anzuhören und alle Kommentare dazu durchzulesen. Die Hörer brauchen Hintergrundinformationen. Und in der Rushhour beim nach Hause fahren erzählt man, wie sich das Thema, das wir im Wecker angeschnitten haben, untertags entwickelt hat.“

Für ihre persönliche Zukunft nach dem Radio bleibt Martina Rupp dem auditiven Medium erst einmal erhalten, denn sie spricht aktuell für eine Informations-Kampagne über Gürtelrose Podcasts ein, die online für jedermann und jederfrau abrufbar sind. Dieses Thema ist für die ehemalige Moderatorin eine Herzensangelegenheit, da sie selbst daran erkrankt ist und bei der Zielgruppe der über 50-Jährigen ein Bewusstsein für diese Krankheit schaffen möchte. Darüber hinaus, genießt Frau Rupp nun nach Herzenslust ihre viele Freizeit. Martina Rupp zu ihren Plänen: „Es gibt noch ein tolles Projekt, vielleicht mache ich das doch. Aber nur mehr das, was ich wirklich kann und mag.“


Mehr Informationen unter:

https://guertelrose-info.at/podcast-mit-martina-rupp/

https://der.orf.at/unternehmen/who-is-who/tv/rupp100.html

“Wenn du reich werden willst, würde ich dir eher empfehlen sexistischen Rap zu machen.”

“Wenn du reich werden willst, würde ich dir eher empfehlen sexistischen Rap zu machen.”

Frauenfeindlich, sexistisch und gewaltverherrlichend – so sind einige Texte erfolgreicher Deutsch Rapper:innen. Frauen werden hier oft nur als Objekte dargestellt. Außerdem wird die Deutsch Rap Szene noch immer stark von Männern dominiert.

Darüber haben wir mit der Wiener Rapperin Yasmo gesprochen. Yasmo rappt seit über zehn Jahren über Themen wie Feminismus, Gleichberechtigung und seelische Gesundheit. Im Interview teilt sie ihre Gedanken zu Sexismus im Deutsch Rap.

Ein Interview von Iris Rothmüller
© Kidizin Sane

VULVA, MENSTRUATION, MASTURBATION: Wir sind noch nicht zufrieden

©unsplash

Feministische Organisationen, Vereine und Initiativen nehmen Themen wie die Ungleichheit der Geschlechter, Sexismus und die Diskriminierung von Frauen seit jeher auf. Denn: „Wir sind noch nicht zufrieden“, lautet das Motto der Dritten Welle der Frauenbewegung. Auch wenn es um die Tabuisierung der weiblichen Sexualität geht, gibt es noch einiges an Aufholbedarf. Sofia Surma, Bettina Weidinger und Bettina Steinbrugger sprechen in unabhängig voneinander geführten Interviews über ungeklärte Fragen, Mythen und Themen der Sexualität, die für die meisten außerhalb der Komfortzone liegen. Dabei sind sie sich nicht immer einer Meinung.

Was sind Themen, über die ungern offen gesprochen werden?

Sofia Surma: „Ich merke auf jeden Fall, dass es ganz vielen Frauen einfach unangenehm ist, über ihr Geschlechtsteil, aber auch über die weibliche Lust und die weibliche Sexualität zu sprechen. Es beginnt schon mal damit, dass die meisten Frauen überhaupt nicht wissen, wie sie sich da unten nennen sollen. Im täglichen Sprachgebrauch nutzen die meisten eigentlich das Wort Vagina und nicht das Wort Vulva. Und das Wort Vagina bezeichnet nur das Loch, wobei für die weibliche Sexualität eigentlich all das, was da rundherum ist, wichtig ist: Die inneren und äußeren Vulva-Lippen, die Klitoris, der Venushügel. Und wenn wir immer nur davon reden, dass es da unten etwas gibt, wo man was reinstecken kann, zeigt das irgendwie auch, dass in unserer Gesellschaft ein sehr starker Fokus auf den Penis des Mannes in der Sexualität gesetzt wird.

© Alessandra Ljuboje 

Sofia Surma – Gründerin des Vereins Viva La Vulva: Selbstbestimmung, Freiheit & Pussy Positivity. „Es geht um Selbstbestimmung, weibliche Sexualität, Freiheit und Feminismus“

Bei mir zum Beispiel war Ausfluss ein sehr großes Thema. Dass man abends sein Höschen auszieht und es nicht komplett frisch gewaschen aussieht. Ich habe es dann immer schnell zerknüllt und weggegeben, damit das ja keiner sieht, weil ich mich dafür geschämt habe. Aber eigentlich ist das eine ganz natürliche Körperfunktion, ohne der eine Schwangerschaft zum Beispiel gar nicht möglich wäre. Der erste Schritt ist dann eben, zu reflektieren und sich zu fragen „Warum mache ich das?“ und dann ist es natürlich gut, sich mit jemanden darüber auszutauschen und zu erfahren, dass man da nicht allein ist, sondern dass es ganz normal ist. Das war für mich richtig erleichternd!“

„Viva La Vulva! Lasst euch nicht von diesem Tadel zurückdrängen und einschüchtern. Seid mutig, traut euch und lasst euch nicht beirren, weil meist hat man selbst schon die richtige Intuition!

— Sofia Surma

Die Verkürzung der inneren Schamlippen ist mittlerweile eine der häufigsten Schönheitsoperationen. Von wo kommt die negative Einstellung zum eigenen Geschlechtsteil?

Surma: „Das kommt daher, dass Frauen oft gar nicht wissen, dass es ganz normal ist, wenn man da unten vielleicht nicht so ausschaut, wie die „Pornovulva“. Mit unserer Plattform Viva La Vulva wollen wir auch zeigen, dass es viel mehr Diversität gibt und man sich nicht dafür schämen muss, wenn man zum Beispiel hervorschauende, innere Vulva-Lippen hat oder dass es ganz normal ist, wenn man da unten nicht ganz Haarfrei ist. Abgesehen von Pornos geht das ja auch weiter in die Bildung, wo es in Schulbüchern ja immer nur diese Abbildung vom Querschnitt des Bauches und der Gebärmutter gibt. Wenn es eine genauere Abbildung der Vulva gibt, ist es meist nur ein Dreieck mit einer Öffnung in der Mitte. Ganz früh werden wir mit Bildern berieselt und konfrontiert, die uns sagen: Es soll da unten eigentlich nichts sein, außer ein Schlitz.“ 

Bettina Weidinger: „Spüren und sich mögen hat etwas mit Berührung und Beschäftigung zu tun. Also je mehr sich ein Mensch mit dem eigenen Genital beschäftigt, desto mehr ist dieses Körperteil auch akzeptiert. Die falsche Darstellung des Genitals, etwa in Schulbüchern, ist sicher ein Problem. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass auch die richtige Darstellung des Genitals nicht unbedingt Klarheit schafft. Viele Menschen haben richtige biologische Informationen erhalten und können sie trotzdem nicht memorieren, weil diese Informationen nicht so gegeben wurden, dass sie mit der Praxis verknüpft werden konnten.

Außerdem stellen die Fähigkeiten, den eigenen Körper zu spüren und sich selbst körperlich zu mögen, eine stabile Basis dar, um sich von Außeneinflüssen nicht so sehr beeindrucken zu lassen. Diese Fähigkeiten können Menschen aber nur dann etablieren, wenn sie von klein auf ausreichend in Bewegung sind und viele sensorische Inputs bekommen. Das gilt für den gesamten Körper, ebenso für das Genital. Wenn Menschen also schon recht früh vermittelt wird, dass das Geschlechtsorgan etwas Grausliches ist und man sich dort nicht berühren darf und zusätzlich alle Bewegungen, die das Becken machen könnte, verboten sind, weil das „unanständig“ ist, dann ist es schwierig, einen guten Bezug zu dieser Körperregion zu entwickeln. Demnach ist es nicht verwunderlich, wenn es als Objekt betrachtet wird, das operativ verändert werden sollte.

© Nadja Meister
© Nadja Meister

Bettina Weidinger – Leiterin des sexualpädagogischen Lehrgangs am österreichischen Institut für Sexualpädagogik, Sexualberaterin, Supervisorin

Auch in den Medien werden stilisierte Körper gezeigt und Vorgaben gemacht, wie Menschen auszusehen haben. Sogar in ganz normalen Zeitschriften, die sich selbst als „reflektiert“ bezeichnen, gibt es Styling-Tipps und damit Normvorschriften. All das ist fragwürdig und natürlich beeinflusst dies Menschen. Intimrasur wurde ja nicht trendig, weil es in der Natur der Sache liegt, sondern weil irgendwann diese Normvorgabe so häufig vermittelt wurde, dass sich behaarte Personen unwohl fühlten.“

Von wo kommt es, dass die Sexualität so ein Tabu-behaftetes Thema ist?

Betina Steinbrugger: „Viel liegt natürlich in der Familie und im kollektiven Gedächtnis, welches über Jahrzehnte so weitergegeben wird. Wir sehen oft, dass beispielsweise die Einstellung, die die Mutter zu ihrer eigenen Menstruation hat, auch weitergegeben wird. Wenn das in der Familie schon so ein Tabuthema ist und nicht offen und entspannt darüber geredet wird, dann wird diese negative Einstellung auch an junge Mädchen weitergegeben.

Viele Frauen empfinden ein großes Schamgefühl rund um alles, was mit dem Intimbereich oder der Menstruation zu tun hat. Mit diesem Schamgefühl und Unwissen geht dann auch oft eine negative Einstellung zu ihrem Körper einher und wenn man negativ seinem Körper gegenüber eingestellt ist, will man folglich nicht gerne über etwas reden, was seinen Körper betrifft. Außerdem hat das negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein“

© erdbeerwoche

Bettina Steinbrugger – Gründerin der erdbeerwoche: umweltfreundliche Periodenprodukte & Aufklärungsarbeit mit dem Schulprojekt Ready For Read.

Surma: „Frauen werden generell eher dazu angehalten, nicht so offen über ihre eigene Sexualität und über ihre eigene Lust zu reden und das hängt damit zusammen, dass in unserem gesellschaftlich-strukturellen Denken immer der Mann derjenige ist, der im Zentrum der Lust steht. Immer ist es der Mann, der die Frau erobert, der den Akt initialisiert und der auch auf die Frau zukommt und darüber redet.“

Haben Männer durchschnittlich einen positiveren Körperbezug zu Ihrem Geschlecht als Frauen?

Surma: „Die meisten Frauen schauen sich selbst unten erst relativ spät so richtig an. Man muss sich als Frau halt schon ein bisschen verrenken, um sich oder auch andere gescheit anschauen zu können.  Männer haben da eine etwas leichtere Beziehung zu ihrem Penis, weil sie schon früh damit beginnen, sich anzugreifen, wenn sie zum Beispiel aufs Klo gehen. Und Männer dürfen, beziehungsweise sollen auch mit ihrem Penis herumspielen. Frauen machen das nicht so stark.“

Weidinger: „Das häufig gebrachte Argument, dass Burschen einen besseren Bezug zum Genital herstellen könnten, weil es sichtbar ist, sehe ich als Klischee. Der positive Bezug zum eigenen Genital wird durch erforschende Eigenberührungen, die vor allem im Kleinkindalter stattfinden, geprägt. Da geht es darum, was erfühlt und gespürt werden kann. Natürlich ist auch das Schauen interessant. Kinder betrachten sich auch gerne und Mädchen nehmen dafür einen Spiegel. Die Basis ist aber immer die Berührung und das Spüren.“

Was gibt es für Mythen in Bezug auf die weibliche Sexualität, die zum Teil immer noch präsent sind?

 Weidinger: „Eine der größten Mythen ist, dass Frauen weniger sexuelle Lust verspüren als Männer. Wird diese Botschaft von klein an vermittelt, ist es auch wirklich etwas schwierig, einen positiven Lustbezug zu erreichen. Erstaunlich ist, dass die meisten Mythen die weibliche Sexualität als weniger wert, weniger feurig, schmerzhaft – am schlimmsten ist wohl der Satz „das erste Mal tut weh“ – und vor allem weniger aktiv abstempeln. 

Wenn der Mythos, dass Geschlechtsverkehr für die Frau oft schmerzhaft ist, als „Normalität“ akzeptiert und der Schmerz einfach hingenommen wird, kann das zu Folge haben, dass der Körper sich das einprägt und von da an in der unangenehmen Erwartung eines möglichen Schmerzes, anspannt. Das führt beim Geschlechtsverkehr dann wiederum zu Schmerz. Manche Frauen kommen auf diese Weise in eine Situation, wo Sexualität mit einer anderen Person mit unangenehmen Schmerzen verbunden wird. Es ist nicht verwunderlich, wenn dann auch irgendwann die Erregung nicht mehr spürbar ist.“

Steinbrugger: „Es war gerade erst letztes Jahr auf einer Messe. Da haben wir erklärt, wie eine Menstruationstasse funktioniert und eine erwachsene Frau hat gefragt: „Ja, aber kann ich da überhaupt noch aufs Klo pinkeln gehen währenddessen? Oder pinkelt man dann in die Tasse?“, weil sie nicht wusste, dass es da zwei Öffnungen gibt. Solche Mythen und so ein Unwissen, das gibt es immer noch, auch bei Erwachsenen.

Auch Werbungen spielen eine große Rolle: Über Jahrzehnte wurde uns versucht, weiß zu machen, dass Menstruationsblut ja nicht rot, sondern blau sein sollte. Solche verkehrten Bilder und Messages der Werbeindustrie vermitteln uns damit, dass prinzipiell alles schmutzig ist, was da unten passiert und es darum geht, alles möglichst steril, möglichst hygienisch und sauber zu halten und mit Duft zu behandeln. Alles andere ist nicht normal und ekelig. Und das schafft natürlich auch ein Gefühl für viele Frauen, dass das Menstruationsblut eigentlich etwas Schmutziges und Grausliches ist und man möglichst nicht in Berührung damit kommen soll.“

Weshalb ist eine Enttabuisierung wichtig?

Weidinger: „Ein Tabu verhindert die offene Kommunikation über das, was viele betrifft und fördert damit zeitgleich das Aufkommen und Determinieren von Irrtümern. Das Tabu bewirkt, dass zwar Extravagantes und Außergewöhnliches präsent wird, aber das „Banale“ wenig besprochen wird. Hinzu kommt, dass das Nichtbesprechen des Themas automatisch dazu führt, dass Fehlinformationen, Gesellschaftskonstrukte und Rollenzuschreibungen bestehen bleiben – und als Norm erachtet werden. Schlussendlich wirkt sich die Negativierung des Körpers, wie auch die Negativierung sexueller Erregungsgefühle einschränkend auf Menschen aus.“

Surma: „Wir leben in einer verrückten Zeit, in der wir umgeben sind mit Sex: halbnackte Menschen auf Parfums, Körper auf Plakaten und Werbungen, Sex als Währung, … und wenn man sich das anschaut, könnte man meinen, wir sind so offen wie noch nie. Gleichzeitig gibt es aber immer noch so viel rückschrittliches Denken, wenn es um echten Sex geht, um Beziehungen, um sexuelle Freiheit und Tabuthemen. Wie wir unseren Körper sehen, was wir verstecken, wofür wir uns schämen und wie wir mit unseren Körperfunktionen umgehen, hat alles ganz stark damit zu tun, wie wir uns als Frauen in der Gesellschaft sehen. Die Tabuisierung hängt eben genau damit zusammen, wie wir in der Gesellschaft mit Feminismus umgehen und wie gleichberechtigt wir sind. Gleichberechtigung ist nicht nur beim Arbeitsplatz ein Thema, sondern auch zu Hause.“ 

Steinbrugger: „Eine Tabuisierung ist ein Nährboden für Falschinformation und Mythen. Das kann in manchen Fällen sogar zu gesundheitlichen Problemen führen, wenn Frauen etwa nicht wissen, wie ihre Vulva aussieht und funktioniert, oder dass ein Tampon nicht einfach im Körper verschwinden und sich auflösen kann oder wenn man nicht weiß, wann ein Tampon spätestens gewechselt werden muss.“

Wie kann sich diese Einstellung gesamtgesellschaftlich ändern?

Surma: „Es ist wichtig, Menschen auf einem individuellen Level anzusprechen. Wenn man im Internet recherchiert, steht da auch oft ganz viel Blödsinn und das macht einen oft nur mehr Sorgen und man fühlt sich auf sich gestellt. Um Veränderungen in unserer Gesellschaft einzufordern, müssen wir eigentlich aktivistisch sein. Das sind strukturelle Probleme, die man ansprechen und sichtbar machen muss. Genauso wie wir sagen: „wie viel verdienen Männer – wie viel verdienen Frauen“, sollte man auch mit dem Orgasm-Gap umgehen, denn besonders bei heterosexuellen Paaren ist es so, dass Männer viel häufiger zum Orgasmus kommen, als Frauen. Das muss man thematisieren, sonst ändert sich da nichts.“

Weidinger: „Es geht nicht darum, mit allen Menschen über die eigene Sexualität zu sprechen. Es geht eher um ein gesellschaftliches Sprechen: Welche Informationen werden weitergegeben? Inwiefern gibt es ein Bewusstsein dafür, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden sollten, um eine positive sexuelle Entwicklung zu ermöglichen?“

Steinbrugger: „Diese Einstellung kann sich nur ändern, wenn möglichst viele Menschen einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Auch die Medien können durch eine konstruktive Berichterstattung über das Thema zu einer Enttabuisierung beitragen. Es sollten besonders junge Menschen angesprochen werden, weil die Pubertät die Zeit ist, in der sich viele Einstellungen verfestigen und herausbilden. Ein auf Fakten und Humor basierender Ansatz ist ganz wichtig, um ein Tabuthema aufzubrechen.“

„Redets‘ drüber! Einfach trauen, Fragen zu stellen, die man sich vielleicht noch nicht getraut hat, zu stellen. Darüber zu reden ist der erste wichtige Schritt, um das Tabu aufzubrechen.

– Bettina Steinbrugger

An wem sollte es eigentlich liegen, diese Themen aufzuzeigen und aufzuklären?

Weidinger: „Menschen sind ab der Geburt sexuelle Wesen und bleiben es bis zum Tod. Aufklärung in dem Sinn gibt es nicht. Vielmehr geht es bei Kindern/Jugendlichen zwischen 0 und 18 Jahren um eine sexualpädagogische Begleitung, wo alle Erwachsenen, die mit diesen Kindern/Jugendlichen zu tun haben, aufgefordert sind, gemäß ihrer Rolle zu agieren: Die Förderung von Bewegung und sensorischen Inputs, Gesprächsangebote, der Besuch bei einer Ärztin, einem Arzt und vieles mehr sind Teil umfassender sexualpädagogischer Entwicklungsbegleitung. Eltern haben dabei eine komplett andere Aufgabe als Lehrkräfte. Jede Person kann etwas dazu beitragen, um das respektvolle Gespräch über Sexualität zu fördern, um eine positive Haltung gegenüber dem Körper zu vermitteln.“

Surma: „Das ist schon etwas Politisches. Natürlich sind da Vereine, NGOs und Kollektive beteiligt, aber die Politik setzt da die Rahmenbedingungen. So, wie für die vielen anderen Sachen ist die Politik dazu angehalten, dass sie zu der Gleichstellung und Gleichberechtigung beitragen. Eine unserer großen Forderungen an die Politik war, die Steuer auf Periodenprodukte und Hygieneprodukte zu senken.“

Regierungsprogramm der ÖVP und Grüne 2020:

„Senkung des USt-Satzes für Damenhygieneartikel“

Quelle: Bundeskanzleramt Österreich

Die Umsatzsteuer auf Damenhygieneprodukte wurde ab 1. Jänner 2021 von 20 Prozent auf zehn Prozent gesenkt. Produkte wie Binden, Tampons und Menstruationstassen fallen ab diesem Jahr also nicht mehr unter die Kategorie „Luxusartikel“. Bipa bietet bei kurzfristigem Bedarf an der Kassa jetzt kostenlose Tampons und Binden an und auch von der Regierung unabhängige Organisationen und Vereine ergreifen die Initiative: Caritas stellt obdachlosen Frauen Binden und Tampons zur Verfügung und Vereine wie Viva La Vulva und erdbeerwoche greifen tabuisierte Themen auf und versuchen damit, ein gesellschaftliches Bewusstsein für Diversität und Sexismus zu schaffen, sowie Aufklärungsarbeit zu leisten und Tabus entgegenzuwirken.

Auch an anderen Orten der Welt bewegt sich einiges: In Australien, Kanada, Kenia, Irland, Indien, sowie in einigen US-Staaten gibt es keine Tampon-Steuer. Im November 2020 beschloss das schottische Parlament, Menstruationsartikel kostenlos zur Verfügung zu stellen und in Neuseelands Schulen werden gratis Damenhygieneprodukte zur Verfügung gestellt. 

Wir sind also auf dem richtigen Weg – das Ziel ist jedoch noch nicht erreicht.