All you need is … less
von Eva E. Zecha
Einmal alles liegen und stehen lassen, unnötigen Ballast abwerfen, aus der täglichen Routine ausbrechen und sich dahin aufmachen, wie es einem in den Sinn kommt. Diesen Wunsch hat vermutlich schon jeder einmal gehegt, die täglichen Verpflichtungen, Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten halten uns in der Regel aber davon ab, mehr als einen zwei- oder dreiwöchigen Urlaub in Angriff zu nehmen. Eine junge Steirerin hat sich diesen Traum erfüllt, die bekannten Pfade verlassen und sich über mehrere Kontinente hinweg, in ein siebenmonatiges Abenteuer gestürzt.
Anna Ui, das ist ihr Künstlername, ist Shop-Managerin in einem großen, österreichischen Onlinehandel und auf Marketing spezialisiert. Nach einem Wirtschaftsstudium in Wien und Großbritannien ist Anna mit 24 Jahren als Produktmanagerin bei einer international tätigen Firmengruppe für Dachfenster eingestiegen und war damit die erste Frau in Österreich, die diese Produktgruppe geleitet hat. Nach vier Jahren Berufstätigkeit hat die junge Managerin einen radikalen Schnitt gemacht, alle ihre Habseligkeiten verkauft und ist nach Norwegen getrampt.
Wie es zu diesem ungewöhnlichen Schritt kam, verrät Anna Ui in diesem Interview.
Du hattest einen steilen Karriereeinstieg, warst eine der jüngsten, weiblichen Produktmanager von Dachflächenfenstern in Österreich. Nach etwa vier Jahren hast du deine Zelte in Wien dann abgebrochen und dich auf eine siebenmonatige Reise aufgemacht. Wie kam es dazu?
Ich habe recht schnell gemerkt, dass so eine Konzernumgebung wie es bei Velux der Fall war, nicht das ist, wo ich mich wohlfühle und aufgehe. Die Entscheidungswege sind lang und auch der eigene Handlungsspielraum ist aufgrund der hierarchischen Strukturen eingeschränkt. Das hat sich für mich als zu unflexibel herausgestellt. Nach meiner ersten Asienreise kam ich dann an den Punkt wo ich mir dachte: Simplicity – und alles Zeug weg. Ich habe dann meine Wohnung gekündigt, alle meine Sachen verkauft und habe mit meinen zwei Taschen erst einmal in Wien nomadisch gelebt. Einmal ist eine Freundin nach Indien gegangen, da bin ich in ihre Wohnung gezogen, danach habe ich woanders einen Unterschlupf gefunden. Es hat sich immer etwas ergeben.
In meinem letzten Jahr in Wien habe ich dann bei Shpock gearbeitet, als das Unternehmen noch ein Start-Up war. Diese Zeit war sehr intensiv und wie eine 7-Tages-Woche. Ich habe gewusst, dass ich so etwas nur auf Zeit machen kann. Zum Ende hin hatte ich dann den starken Drang aus dem Ganzen auszubrechen und aus Wien wegzugehen. Da habe ich dann meine Reise mit der ersten Etappe nach Norwegen gestartet.
Diese Reise hast du dann ja mit absolutem Low-Budget gemacht, oder?
Ich habe mir schon etwas angespart, aber ich wollte es mir nicht so leicht machen und einfach nach Norwegen fliegen. Deswegen bin ich von Wien weg per Autostopp nach Norden getrampt, um langsam ans Ziel zu kommen und den Weg zum Ziel zu machen. Ich muss sagen, das war für mich eine riesige Überwindung, mich an die Straße zu stellen. Man weiß, dass einen vielleicht jeder 200ste tatsächlich mitnimmt, das hat sich angefühlt wie Ablehnung. Selbst wenn ich es dann noch dreißigmal gemacht habe, war es immer wieder eine Überwindung. Aber ich habe damit wirklich schöne Erfahrungen gemacht, egal ob es Männer waren, die stehen geblieben sind, oder Frauen. Es war nur positiv, wie auch die Geschichten, die ich dabei mitgenommen habe.
Warum hast du dir gerade Norwegen als Ziel ausgesucht? Du hast dort dann gut zwei Monate verbracht, was hast du in dieser Zeit gemacht?
Mein eigentliches Ziel war die Inselgruppe der Lofoten. Ich war dort hauptsächlich wandern und zelten. Mein Fokus lag darauf, ganz minimalistisch in der Natur unterwegs zu sein. Dazu inspiriert hat mich unter anderem die französische Surferin Léa Brassy, deren Blog ich schon einige Zeit gefolgt bin, und die in den Lofoten surfen war. Was mich gerade an den Lofoten so fasziniert hat, ist dieser direkte Kontrast von Meer und Bergen. Ich habe Zuhause dann noch von einem Projekt gelesen, bei dem eine Gruppe von jungen Leuten aus Strandgut und angeschwemmten Müll ein Haus am Strand gebaut hat. Dieses Haus habe ich gefunden, man kann dort sogar übernachten.
So schön Norwegen ist, so teuer ist es aber leider auch. Ich habe immer gewusst, wenn ich zu einem gewissen Budgetrahmen komme, dann muss ich Richtung Asien aufbrechen. Ich habe es mir aber offengelassen. Wenn ich in Norwegen einen Job gefunden hätte, oder wenn es mir an einem Ort besonders gut gefallen hätte, wäre ich auch länger an einem Ort geblieben. Das hat aber irgendwie nicht so funktioniert, auch weil Norwegen nicht bei der EU ist. Daraufhin bin ich dann nach Asien aufgebrochen.
Was war dann dein Plan auf deiner zweiten Etappe in Asien?
In Asien lag mein Fokus weniger auf dem Reisen, als auf kreativem Austausch und Weiterbildung. Ich habe mich dort bewusst in ‚Coworking Spaces‘ gesetzt und mich in Web-Development, UX-Design und App-Programmierung eingelesen bzw. eingearbeitet. Das Thema hat mich schon länger interessiert, auch weil ich mir vorstellen hätte können, in diesem Bereich selbstständig zu werden.
Dafür war Asien der perfekte Ort: niedrige Lebenskosten und eine junge, offene und kreative Szene, vor allem in diesen ‚Coworking Spaces‘ und ‚Creative Hubs‘. Das hat mir richtig Spaß gemacht und ich habe mir in dieser Zeit enorm viel aneignen können. Ein einschneidendes Erlebnis war dann auch ein TEDx-Vortrag, den ich mir dort angeschaut habe. Der hieß „Live is easy“ von Jon Jandai. Ich war kurz in Thailand und dieser Vortragende hat in der Nähe gewohnt. Er bricht dabei auf geniale Art und Weise herunter, wie sehr wir uns eigentlich wie Ameisen in einem Bau bewegen. Mir ist es dort zum ersten Mal wie Schuppen von den Augen gefallen, dass ich ganz sicher nicht mehr in dieses Hamsterrad nach Wien zurückkehren möchte. Ich bin dann noch weiter nach Taiwan gereist, da es dort einen ‚Creativ Hub‘ gibt, der bei Designern und Grafikern sehr beliebt ist. Das war eine sehr inspirierende Umgebung, wo ich mich in Webentwicklung und den unterschiedlichsten kreativen Sachen ausprobiert habe. Als es mir dann in Taiwan zu heiß wurde, bin ich nach Japan weitergeflogen.
Japan war dann nach fast sieben Monaten deine letzte Etappe vor deiner Rückkehr nachhause. Warum gerade Japan?
Ich fand Japan von diesen ganzen ästhetischen Gesichtspunkten und auch deren Kunst und Design äußerst spannend. Dort ließ ich mich wieder stärker durch die Kultur und das Reisen inspirieren, war wieder mehr in der Natur unterwegs. Auch der Kontrast zu dem lauten, hektischen Treiben in Taiwan war sehr spannend. Diese stille und rücksichtsvolle Mentalität der Japaner:innen war fast eine meditative Erfahrung.
Eine Anekdote dabei ist, dass mir in Norwegen beim Hitchhiking auf einer Insel ein Radfahrer begegnet ist, der zu mir gesagt hat: „Wenn du zufällig in Japan vorbeikommst, ich gebe dir meine Nummer.“ Das war ein Australier, der vor 30 Jahren nach Tokio ausgewandert ist. Tokio stand nicht unbedingt auf meiner Reiseliste, aber dadurch, dass mein Rückflug von dort aus ging, habe ich mich dann tatsächlich mit dem Australier getroffen, mitten in Tokio. Das fand ich schon recht spannend.
Du bist alleine gereist, warum das?
Ich wollte das immer allein machen, einerseits kann man sich dadurch aus seiner Komfortzone herausbewegen, andererseits habe ich gemerkt, dass man dadurch ein viel größeres Potential hat, seine Erlebnisse zu reflektieren. Man ist viel offener für neue Einflüsse und lernt Menschen kennen, denen man sonst bestimmt nicht begegnet wäre. Für mich war es wichtig die Freiheit zu haben, genau dem nachzugehen, wonach mir gerade ist. Es steht einem auf diesem Weg auch jederzeit frei, ob man seine Ruhe haben will, oder mit anderen kommunizieren möchte, indem man auf sie zugeht. Oder es passiert andersrum, dass einen einfach jemand anspricht und man dadurch ins Gespräch kommt. So habe ich einige wunderbare, unerwartete Freundschaften knüpfen können.
Was hast du nach deiner Rückkehr gemacht?
Durch diese Reise habe ich mit dem Gedanken gespielt, die Welt zu meinem Zuhause zu machen und meine Arbeit von dem Ort aus zu machen, wo es mich gerade hin verschlägt. Ganz unabhängig und flexibel. Aber ich habe gemerkt, dass es mir doch wichtig ist, einen Punkt zu haben, an den ich zurückkehren kann. Dass ich mir einen Ort schaffe, an den ich mich jederzeit zurückziehen und verkriechen kann. Und zwar minimalistisch, sowohl von den Quadratmetern her, als auch vom ökologischen Gesichtspunkt aus.
Ich bin dann durch Zufall auf ein kleines Grundstück in der Südoststeiermark gestoßen, das für ein Selbstversorgerdasein perfekt ist. Es steht da ein kleines, altes Häuschen drauf, bei dem ich alles versucht habe, um es zu erhalten, aber dessen Bausubstanz einfach zu schlecht ist. Mir ist bei allem was ich tue sehr wichtig, einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Deswegen möchte ich beim Neubau gerne einen Strohballenbau realisieren, auf Basis von natürlichen, regional verfügbaren Baumaterialien, der dann im Endausbau Passivhaus-Standard hat.
Hast du vor, dein Häuschen selber zu bauen?
Nein, dazu habe ich weder die zeitlichen noch die handwerklichen Ressourcen. Es ist zwar Eigenleistung notwendig, aber zum Beispiel das Holzgerüst und den Holzrahmen wird schon ein Zimmermann aufstellen. Zu dem Thema Strohballenhaus habe ich aber letztes Jahr einen Workshop gemacht und ich bin überzeugt, dass das bei den steigenden Baukosten und auch in ökologischer Hinsicht ein Zukunftsthema werden wird. Kurioserweise haben wir genau hier in Kapfenstein einen Experten für diese Bauweise. Aber es wäre natürlich mein Traum, mit den eigenen Händen mein Haus zu bauen.
Hat sich bei dir nach deiner Rückkehr beruflich etwas verändert?
Ich hatte nach meiner Rückkehr die Absicht mich als Web-Entwicklerin selbstständig zu machen, weil hier der Start als Unternehmerin relativ einfach ist, da Grafik-Design ein freies Gewerbe ist. Mein erstes Projekt war dann die Gestaltung eines Onlineauftritts für einen lokalen Bauernladen. Bei der Recherche zur Ideenfindung und Inspiration, habe ich mich auf einer niceshops-Seite bewegt. Aus Interesse habe ich dort auf die Job-Rubrik geklickt und eine Stellen-Ausschreibung für eine Shop-Manager:in gefunden, die mich sofort angesprochen hat und bei der auch das ganze Drumherum gepasst hat.
Nebenbei habe ich dann mit meinen beiden Geschwistern ein Bio-Planzenstärkungsmittel auf Algenbasis für den Hobbygärtnerbereich auf den Markt gebracht. Gemeinsam haben wir alle Kompetenzen in einer Hand, die es für einen Produktlaunch benötigt. Den Durchbruch haben wir leider noch nicht geschafft, aber wir sind immerhin bei einem der größten deutschen Bio-Versandhändler gelistet.
Was hat diese Reise letztendlich bei dir bewirkt?
Also diese Reise hat mich in vielen Belangen wie ich leben will wachgerüttelt. Es hat mein bisheriges Leben komplett auf den Kopf gestellt, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass ich die Stadt zum Leben brauche. Auf der Reise habe ich mich wieder auf meine Wurzeln besinnen können. Ich glaube auch meine allgemeine Zufriedenheit und die Flexibilität, die ich benötige, habe ich am Land gefunden. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich bin eben doch ein Kommunikationsmensch und ich brauche Menschen um mich herum, auch bei der Arbeit.
Ich empfinde es als großes Glück, dass wir hier mitten am Land ein sowohl soziales als auch ökologisch engagiertes Unternehmen haben. Das hat dem Landleben natürlich einen weiteren positiven Aspekt hinzugefügt.