“Am Feld ist Krieg”

Seit zwei Jahren fängt er Pässe für die TU Robots. Im Football, seiner großen Leidenschaft, steht für Philipp Voith besonders das Duell gegen sich selbst im Mittelpunkt. Aber auch Verletzungen, der Griff zum ersehnten Titel, sowie eine gewisse Rivalität lassen ihn nicht kalt…

von Bernd Dorner, 18.11.2023

Wie abgefuckt ist Football?

Football ist ein wahnsinnig cooler Sport, der für viele brutal erscheint, was ich aber ganz anders sehe. Football ist nicht so abgefuckt, wie man zuerst glaubt, wenn man es vielleicht mit Fußball oder Beachvolleyball vergleicht. Es ist zwar eine sehr körperbetonte Sportart, aber das Geile an ihr ist, dass jeder einzelne Schritt jedes einzelnen Spielers völlig durchdacht ist und tausendmal überlegt wurde. Es schaut zwar für Leute, die sich mit diesem Sport nicht auskennen, vielleicht aus wie ein wild gewordener Hühnerhaufen, es ist aber eigentlich das komplette Gegenteil davon.

Beim Football ist Körperkontakt nicht wegzudenken. Wie oft hast du dich schon verletzt?

Ich verletzte mich tatsächlich seltener als viele vielleicht anfangs vermuten würden. Nach jedem Spiel habe ich zwar immer wieder kleinere Wehwehchen, wie blaue Flecken oder Blasen oder so etwas. Verletzungen, die ich wirklich länger als eine Woche spüre, gibt es maximal ein bis zwei Mal pro Saison. Das sind dann so Sachen wie, wenn man richtig blöd umknöchelt, ein Band stark überdehnt, Zerrungen oder Kapselrisse. Diese führen dann dazu, dass ich beim nächsten Training dann halt nicht mehr Vollgas mit der Mannschaft trainieren kann, was mich manchmal echt ankotzt, aber so ist es halt. Sowas trägt halt der Sport generell mit sich mit, dass muss einem schon bewusst sein.

Was waren deine schlimmsten Verletzungen?

Eine der schlimmsten Verletzungen, war am Ringfinger. Ich wollte dabei den Ball fangen und hab mich auch vollkommen auf das Fangen konzentriert. Währenddessen ist mir ein Gegenspieler seitlich dazwischen gesprungen, was ich halt nicht bemerkt habe. Er hat meinen Finger seitlich erwischt, dadurch hat sich das Ganze etwas überdehnt und schwuppdiwupp, steht der Finger komisch weg. Der Finger hat halt echt 90 Grad in eine falsche Richtung geschaut. Die Fingerkapsel war dann natürlich komplett hinüber. Ich bin danach zu unserem Coach gerannt, der mir den Finger wieder eingerenkt hat, aber sowas spürt man dann schon etwas länger. Die andere wirklich längerfristige Verletzung ist schon wieder ein paar Jahre her. Da ging es um eine Absplitterung im Gelenk vom rechten Mittelfinger. Also, wenn man sich ein Knochengelenk vorstellt: Gelenkspfanne oben dann das Gegenstück dazu, von dem einfach mal die Hälfte des Randes abgebrochen ist. Das ist dann echt schmerzhaft. Solche Verletzungen schränken einen dann schon für eine gewisse Zeit ein bisschen ein, was manchmal echt nerven kann. Ich kann von Glück reden, dass bei mir bisher noch keine richtig argen Verletzungen dabei waren. Andere Mitspieler von mir haben sich schon öfter mal das Kreuzband gerissen. Eine besonders empfindliche Position dafür scheint der Running Back (der Ballläufer, Anm.) zu sein. Da haben sich bei uns mal in einer Saison gleich zwei von vier Burschen das Kreuzband gerissen.

Hast du schon einmal das Geräusch eines brechenden Knochens oder Bänderrisses gehört?

Von einem Knochen habe ich das Geräusch noch nicht gehört und ich hoffe das bleibt auch so, denn ich glaube, wenn das einmal der Fall ist, wird es wahrscheinlich mein eigener sein. Das Geräusch selber stelle ich mir jetzt auch nicht unbedingt angenehm vor und hoffe, dass mir das ein Leben lang erspart bleibt. Einen Bänderriss habe ich tatsächlich schon einmal gehört.

Wie hört sich das an?

Das hört sich an wie ein extrem lautes Schnalzen. In einem vollen Stadion hörst du sowas selbstverständlich nicht, so laut ist es auch nicht. Aber am Trainingsfeld, wo dann doch einige Leute herumschreien oder irgendwie anders Lärm machen, ist es trotzdem zu hören, was mir immer wieder ein mulmiges Gefühl gibt.

Du spielst auf der Position des Wide Receivers, also auf Deutsch des Passempfängers. Dadurch rennst du öfter mal mit dem Ball in der Hand und hast sicher schon den ein oder anderen Hit eingesteckt. Wie sehr tut sowas weh?

Gar nicht mal so sehr. Man spürt natürlich einen Einschlag meistens gegen die Hüfte, der nicht unbedingt angenehm ist. Aber grad, wenn man durch effektives Training und viel Übung sich die Angst davor nimmt, weiß man wie man in so einen Tackle hineingeht. Bei mir ist es mittlerweile so, sobald der Hit kommt, spannt sich mein ganzer Körper komplett an, ich habe selber einiges an Wucht drauf und mehr Geschwindigkeit, mehr Velocity und mehr Kraft als früher, mit der ich in diesen Hit hineingehe, was den Schmerz um einiges reduziert. Man muss hier noch erwähnen, dass jeder Footballer eine Art Rüstung am Oberkörper trägt, bestehend aus den so genannten Shoulderpads und natürlich einem Helm, die das Ganze Gott sei Dank auch ein bisschen abfedern.

Philipp Voith (Nr. 10) mit einem Catch Credits: @ig_shots

Warum spielst du trotz all dem noch Football?

Football ist für mich eine unvergleichliche Sportart. Sie ist stark charakterbildend. Du erlernst Dinge, die im Leben unglaublich wertvoll sind. Ich rede von Sachen wie Disziplin oder Teamfähigkeit. Ein Footballteam steht und fällt mit jedem Mann, der am Feld steht. Es gibt im Football verschiedene Systeme und Taktiken, wie man ein Spiel angeht, aber wenn nur einer seinen Job nicht macht, versagt das ganze Team. Mental gesehen ist es zwar einerseits eine extreme Challenge, aber auf der anderen Seite auch eine echt gute Vorbereitung auf alles, was im Spiel noch so kommen könnte. Da spreche ich von kleinen verbalen Beschimpfungen, über Tackles während des Spiels, bis hin zu echten Raufereien, bei der auch gerne mal die Fäuste fliegen. Was ich noch dazu an Football so mag ist, dass es eine Sportart ist, die sehr offen tolerant ist. Es ist völlig irrelevant, ob du zum Beispiel groß und breit gebaut, oder eher der kleine, schmächtige, aber flinke Kerl bist. Auch unterschiedliche Mindsets sind für das Spiel extrem wichtig. Menschen, die blitzschnell etwas analysieren können, sind genauso wertvoll für das Team wie Sturköpfe, die einfach in eine Wand rennen wollen. Das mag im ersten Moment etwas absurd klingen, es ist aber sogar so, dass ein Team Spieler von jedem Körpertypen und Mindset braucht, die auf hohem Niveau performen, um echt erfolgreich zu sein. Und das ist das Schöne an diesem Sport, dass trotz all den Unterschieden am Ende jeder gebraucht wird und alle für ein gemeinsames Ziel arbeiten.

Philipp Voith gegen die WU Tigers Credits: @ig_shots

Hast du persönlich schonmal einen Streit am Feld gesehen oder mitgewirkt?

Mitgewirkt nicht, aber gesehen auf jeden Fall. Da gab es schon einiges, was ich erlebt habe. Es sind meistens Unsportlichkeiten, die viele Spieler zur Weißglut treiben oder zu hitzigen Diskussionen führen. Football ist eine sehr körperbetonte Sportart. Das führt dann dazu, dass es Spielern, die etwas „unfairer“ spielen, vereinfacht ihr nicht immer regelkonformes Spiel durchzuziehen. Es kann passieren, dass einem „nette“ Worte entgegengerufen werden. Andere Spieler springen einem absichtlich mit dem Knie voran in den Bauch. Footballspieler sind Menschen mit Emotionen, bei diesen Szenarien kann auch mal das Blut anfangen zu kochen.

Und wie gehst du dem Ganzen aus dem Weg?

Für mich persönlich liegt der Fokus voll und ganz auf meinem eigenen Spiel. Es steht mir zwar ein Spieler von dem Gegner gegenüber, den ich irgendwie auszutricksen versuche, aber am Ende bin ich immer selbst mein größter Gegenspieler. Ich spiele gegen meinen Kopf, ich spiele gegen meine Mentalität. Ich gegen mich. So lautet das größte Duell meines Spiels und meines Lebens. Ich bin mein bester Freund und gleichzeitig mein größter Feind. Ich konzentriere mich primär auf das Duell gegen mich und lasse das andere mit den besten Fähigkeiten, die ich aus mir rausholen kann, einfach laufen. Ich versuche gezielte Provokationen des Gegenspielers als Motivation zu nutzen, um ihn dann blöd dastehen zu lassen.

Und gab es schon Situationen, wo du gedacht hast „Dir hau ich jetzt eine rein“?

Also, diese Momente gibt es sehr, sehr oft. Gott sei Dank habe ich mich bisher immer zurückhalten können und habe daher diesen Gedanken nie in die Realität umgesetzt. Meine Reaktionen bzw. Antworten auf Provokationen habe ich immer im Rahmen des Regelwerks halten können. Es ist ein tolles Gefühl, wenn ich diesen Spieler, der mich provoziert hat, im nächsten Spielzug blocken darf. Je mehr ich provoziert wurde, umso intensiver ist der anstehende Block ausgefallen. Aber generell solche Situationen, wo die Emotionen fast am Überkochen sind, hat es in diesem Sport immer mal wieder gegeben und wird es auch weiterhin geben. Allerdings bin ich der Meinung, dass Streits am Footballfeld nie eine Lösung bringen werden, da sie schon etwas kindisch sind.

Emotionen haben auch viel mit Rivalitäten zu tun. Wie fühlt sich denn so ein Spiel gegen die WU Tigers an?

Die WU Tigers sind unsere Erzrivalen. Abseits vom Feld hat die WU auch echt nette Spieler dabei, das sind teilweise wirklich korrekte Jungs. Aber am Feld ist Krieg, Punkt. Am Feld geht’s nur um Sieg oder Niederlage. Nicht mehr, nicht weniger. Das macht diese Spiele besonders. Diese Rivalität kann man in Wien, wenn überhaupt nur mit der zwischen Rapid und der Wiener Austria vergleichen. Für uns als TU Robots ist ein Sieg und eine gute Leistung zu zeigen immer das Ziel. Gegen die WU Tigers zählt nur der Sieg. Egal ob schön erspielt, oder irgendwie die Zeit runter laufen lassen. Die Hauptsache ist, dass wir gewinnen und uns somit die Vorherrschaft in diesem Duell holen. Die Rivalität zwischen den beiden Universitäten ist einzigartig, weil es diese auch im Basketball, aber auch abseits der Sportarten gibt.

“Wir werden uns dieses Jahr die Krone aufsetzen.” Credits: @ig_shots

Ihr habt 2022 den Summer Bowl gegen die Uni Wien Emperors verloren. Was ist nach dem Spielende in dir vorgegangen?

Viele Emotionen haben mich übermannt. Ich kann mich erinnern, wie ich fast weinend zu einem Mitspieler gelaufen bin. Es ist einfach eine unfassbare Enttäuschung, wenn du vor 6000 Fans stehst und das Ding nicht nach Hause holst. Es waren dumme Fehler, die ich bzw. wir gemacht haben. Das Wertvolle an dieser Niederlage ist, dass wir viele Lehren ziehen konnten. Wir werden stärker zurückkommen und uns dieses Jahr die Krone des österreichischen Footballs aufsetzen.

Was meinst du mit „dumme Fehler“?

Es sind uns einige Kommunikationsfehler unterlaufen. Wir haben Trickplays trainiert, die dann nicht gut funktioniert haben. Wir konnten wenig saubere Tackles liefern. Es wurden viele Spielzüge nicht präzise ausgeführt. Es war beschissen, aber es wird nicht wieder vorkommen.

Wer wird dieses Jahr die härteste Nuss sein, die es zu knacken gilt?

Es haben sich alle Teams massiv weiterentwickelt. In den letzten Jahren waren die Uni Wien Emperors und die WU Tigers unsere stärksten Gegner. Dieses Jahr sind neue Teams dazugekommen, die noch schwer einzuschätzen sind. Heuer wird es sicher wieder einige spannende Spiele geben. Anfang Juni, also im Halbfinale, werden wir dann alle mehr erfahren. Es ist aber davon auszugehen, dass die WU Tigers und die Uni Wien Emperors gemeinsam mit uns zumindest mal im Halbfinale stehen werden.

Wem würdest du Football ans Herz legen?

Football ist eine Sportart, in der wahnsinnig viel Emotion drinnen ist. Es ist charakterbildend und leidenschaftlich geführt. Vor allem lernt man seine physischen und psychischen Grenzen kennen. Football ist eine Sportart für jeden Körpertypen von Groß und breit bis klein und schmächtig. Auch jedes Mindset ist von großer Bedeutung. Es werden intelligente Spieler benötigt, die Situationen in Windeseile analysieren können. Es werden aber auch Spieler benötigt, die anstatt Sachen zu analysieren lieber mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen, im wahrsten Sinne des Wortes. Football steht für Offenheit. Football ist für alle.

1.881 Wörter

Auf einem Besen über die Donauinsel

Durch die Augen von Quidditch-Sportler*Innen (+Outtakes)

Johanna Moser und Lara Schimpf

“Brooms Up!” oder auf Deutsch “Besen Hoch!” – Mit diesem Spruch beginnen die Danube Direwolves ihr Quidditch Spiel auf der Donauinsel in Wien. Beim Sport, den man als eine Mischung aus Rugby, Handball und Volleyball beschreiben kann, steht Geschlechtergleichberechtigung im Vordergrund. Unsere Reporterin Josi möchte wissen, wie das Spiel aus dem Harry-Potter-Universum in der echten Welt funktioniert, und schwingt sich selbst auf den Besen. Schau dir den Beitrag an:

„Auf einem Besen über die Donauinsel“ weiterlesen

Achtsamkeitstraining über Kopf

Er ist allgegenwärtig, aber doch unbekannt. Die Rede ist vom Handstand.
Elise Missall, Gründerin und Chefredakteurin des weltweit ersten Handstandmagazins ,,The Handstand Press Magazin
e“, spricht über die Vielschichtigkeit des auf den Händen Stehens und wie sich dieser Perspektivenwechsel auf das eigene Leben auswirkt.

Interview von Darja Novak

Es ist schwierig, wenn man das ganze Leben lang auf den Beinen gestanden ist, sich umzudrehen und auf den Händen zu stehen, aber es ist es auf jeden Fall einen Versuch wert!

Elise Missall

Kann jeder Handstand lernen?

Sobald es nichts Physisches gibt, das einen zurückhält – absolut! Es ist allerdings ein langer Prozess, was viele Menschen oft vergessen. Zu mir kommen oft Leute, die sagen: „Kannst du mir in zwei Wochen Handstand beibringen?“, wo man dann einfach sagen muss, bei einem Jahr bist du gut dabei. Aber solange man Lust darauf hat und auch durchgängig übt, kann jeder, egal in welchem Alter, einen Handstand lernen.

Kannst du das Handstandtraining empfehlen?

Unbedingt! Man lernt viel über sich selbst und seinen Körper, weil man in jeden Teil des Körpers reinfühlen können muss, um falsch zu balancieren. Man muss fühlen, wo sich die Hände und Ellbogen befinden, in welchem Winkel die Schultern gebeugt sind, wo die Hüfte ist und was dann schlussendlich auch die Beine machen. Man muss voll in den eigenen Körper reinfühlen und allein das ist super wertvoll.

Siehst du das Handstandtraining wie eine Art sportliche Meditation?

Auf jeden Fall. Es gibt unheimlich viele Gründe, warum Leute Handstände machen, aber dieses aktive Körperwahrnehmen und im Jetzt sein macht es dann schon zu einer Art Achtsamkeitstraining. Wenn man mit dem Kopf wo anders ist, funktioniert es nicht.

Wie oft sollte ein Anfänger Trainieren und wann kann man wirklich von sich aussagen, dass man einen Handstand kann?

Regelmäßigkeit ist key! Am Anfang sind drei-, vier-, fünfmal pro Woche empfehlenswert, wenn man eine gute und schnelle Verbesserung will. Grundsätzlich braucht es ca. 1 Jahr, bis man den Handstand wirklich kann. Ab diesem Zeitpunkt fängt man an, unterschiedliche Formen auszuprobieren und seine Beine zu bewegen. Fortgeschrittene trainieren jeden Tag, mehrere Stunden lang. Es macht nach einer Zeit einfach auch süchtig. 

Regelmäßigkeit ist key!

Elise Missall

Das heißt, Handstandtraining könnte jeden ansprechen und ist für jeden da.

Genau! Die Community ist vor allem facettenreich, weil es so viele verschiedene Menschen anzieht – eher analytische Leute, die für sich selbst trainieren, superkreative Leute, die sich durch Handstand ausdrücken, sehr soziale Menschen, die vor allem gerne mit anderen trainieren und natürlich die, die am Ende damit auftreten wollen. Warum man sich in das Handstandtraining verliebt, ist sehr individuell, und kann aus den unterschiedlichsten Gründen passieren.  Wenn man aber einmal die ersten Sekunden in Balance erlebt hat, gibt es oft kein Zurück. Das Gute am Handstandtraining ist, dass es wirklich nicht viel dazu braucht, lediglich eine freie Wand und einen ebenen Boden. Ansonsten braucht es noch ordentlich Motivation, um lang genug dranzubleiben, bis die ersten Erfolge eintreten.

Wenn man das Wort „Handstand“ hört, denken die meisten einfach nur, salopp gesagt, an „verkehrt herumstehen“. In welchen Sportarten findet man den Handstand und seine Variationen?

Das ist schwierig fest zu machen. Es gibt weltweit unheimlich viele Disziplinen, die den Handstand beinhalten. Zum Beispiel im Zirkus, wo der Handstand als eigene Disziplin drinnen ist, oder beim Crossfit, bei dem Handstandgehen dabei ist. In Gymnastik ist Handstand sehr wichtig. Tänzer und Tänzerinnen brauchen ihn auch, meistens als Übergangselement. Im Capoeira ist er auch ein wichtiger Teil. Es gibt den Handstand echt überall, aber oft ist es nur ein kleiner Teil von einer größeren Disziplin.

Also gilt Handstand nicht als eigene Disziplin?

Doch, im Zirkus ist der Handstand definitiv eine eigene Disziplin, aber es zieht nun auch immer mehr Leute an, die gar nichts mit Zirkus am Hut haben. Das hat auch damit zu tun, dass im Rahmen der sogenannten Movement Culture, der Handstand beworben wurde und immer mehr Leute aus dem Mainstream Fitness plötzlich Handstand und Spagat lernen wollten. Mit der Zeit hat sich daraus dann die Handstand-Szene gebildet, die sich aber natürlich viel am Zirkus orientiert. Es entwickelt sich mehr und mehr dazu, dass Handstand eine eigene alleinstehende Disziplin und ein eigenes Hobby wird. So ist es uns, sowohl wegen der vielen Disziplinen, die Handstand beinhalten, als auch dieser neuen Handstand-Bewegung möglich, ein Print-Magazin zu dem Thema herauszugeben.

Foto: Elise Missall – The Handstand Press Magazine

Wie bist du auf die Idee gekommen, das weltweit erste Handstand Magazin ins Leben zu rufen?

Ich habe im Rahmen meiner Firma Motion Impulse seit 2014 im Bereich Darstellende und Bewegende Kunst als auch im Bereich Fitness immer wieder mit vielen Lehrern zu tun gehabt, die sehr gut Handstand unterrichten können. Mit denen habe ich oft Workshops unterrichtet und dabei geholfen, diese zu organisieren. Mit meiner Onlineplattform Handstand Factory habe ich mich sehr auf zwei Lehrer spezialisiert. Emmet Louis, meinen Lebenspartner, und Mikael Kristiansen, mit denen wir die Handstandprogramme filmen. Dadurch war ich sehr an diese zwei Lehrer gebunden, habe aber gemerkt, dass es so viele spannende Handstandlehrer und Leute auf der Welt gibt, die auch wirklich Interesse daran haben, etwas zu sagen oder ihr eigenes Handstandtraining teilen wollen. Daraufhin wollte ich ein Outlet innerhalb meines Verlagshauses schaffen, das nicht an einen bestimmten Stil gebunden ist wie man Handstand lernen und unterrichten kann.

Das heißt, du wolltest allen die Chance geben, gehört zu werden?

Genau! Ich wollte eine Plattform bieten, auf der alle möglichen Leute Platz finden ihre Meinung zu äußern. Von ihren verschiedenen Herangehensweisen, wie sie entweder selbst Handstand lernen oder unterrichten, bis hin zu ihren Erfahrungen und ihren Schwierigkeiten, die es gibt, wenn man Handstand lernen will. Das war mein Hauptgedanke dahinter, ein Magazin herauszubringen, das generell über Handstand ist. Wichtig war mir, dass darin alle Disziplinen Platz finden und dass Handstand aus verschiedenen Sichtweisen aufgezeigt und gesehen werden kann.

Ich wollte schon immer ein Print-Magazin herausgeben und da hat diese Idee perfekt für mich gepasst. Vor anderthalb Jahren habe ich daraufhin das Postgraduiertenzertifikat für „Creative and Cultural Entrepreneurship“ am Trinity College hier in Irland gemacht und im Zuge dessen die Zeit gehabt mir zu überlegen, wie so ein Magazin denn aussehen soll und ob meine Firma Motion Impulse dieses Projekt tragen kann. Wir wussten von vornherein, dass es nichts ist, womit wir unbedingt Geld verdienen wollen. Unser Ziel war es, dass sich das Magazin bei Ausgabe 03 oder 04 selbst trägt.

Foto: Handbalance 101 – The Handstand Press Magazine

Was war eure Version hinter dem Magazin?

Mit dem Handstand-Magazin wollten mein Team und ich genau die Entwicklung des Handstandes zu einem eigenen alleinstehenden Hobby aufgreifen und die Handstand-Szene noch weiter voranbringen. Wir wollen vor allem die Community ansprechen, die sich nur um den Handstand herum entwickelt. Es gibt so viele verschiedene Facetten des Handstandtrainings und Arten von Leuten, die es machen, dass wir uns gedacht haben, dass es auf Papier gebracht ein unglaublich spannender Einblick wäre. Besonders für Leute, die im Internet bei sich zu Hause trainieren und eine Community suchen. Gerade in der Pandemie haben sehr viele Leute mit dem Handstandtraining begonnen, weil man dafür, wie gesagt, nicht viel Platz und kein Equipment braucht und viele gezwungenermaßen viel Zeit hatten. 

Hat es dich nicht etwas abgeschreckt, dass das Magazin nur so eine kleine Nische anspricht?

Nein, weil ich das Potential dieser Nische gesehen habe! Es gibt zwar andere Zirkus-Magazine und viel über das Jonglieren, allerdings gibt es die meisten davon nicht mehr, weil die Nachfrage nach Print in den letzten zehn Jahren immens abgenommen hat. Ich habe aber die Hoffnung, dass es ein Revival geben wird in Richtung mehr haptischer Gegenstände und nicht alles online ist. In diesem Rahmen habe ich mich mit mehreren Freundinnen in Verbindung gesetzt, die auch im gleichen Bereich arbeiten. Unter anderem Sonja von Handstand Diary, die eine Art Online Videojournalismus macht und verschiedene Handstandlehrer interviewt hat. Wir haben dann gemeinsam unsere Grafikdesignerin sowie unsere Social Media Managerin gefunden, die ebenfalls beide Handstand machen. Ich habe versucht ein Team zu finden, das sowohl Handstand als Hobby oder als Beruf hat und gleichzeitig gut in Grafik-Design, Interviews führen und Social Media Management ist. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich das allein machen kann, aber mit diesem Team von Frauen kriegen wir das hin! 

Wer steht hinter dem Magazin?

Wir haben mich und dann noch drei Leute, die bezahlt werden. Zum Team gehören Sonja Smith-Novak, unsere Redakteurin, Katie McKenney, unsere Layout-Designerin und Emma Dybenko, die für unser Social Media zuständig ist. Wir leben alle in verschiedenen Teilen der Welt. Sonja in Österreich, Emma in Kanada, Katie in den USA und ich in Irland. Unsere Druckerei befindet sich allerdings in Deutschland. 

Foto: Von links oben nach rechts unten: Katie McKenney, Sonja Smith-Novak, Elise Missall, Emma Dybenko – The Handstand Press Magazine

Worum geht es in der ersten Ausgabe 01 Common Ground, die Ende Juni herausgegeben wurde?

Die erste Ausgabe „Common Ground“ soll allgemein einen Einblick rund um das Überthema Handstand bieten und einen tieferen Einblick in die Weite der Handbalance-Gemeinschaft gewähren. Handstände sind ein Element in verschiedenen Sportarten und Disziplinen, die den Einstieg für viele Athleten, Lehrer und Bewegungskünstler darstellen, die dann süchtig werden und die große Bandbreite der Möglichkeiten des Handstandtrainings entdecken. Handbalance wird dann oft zu ihrer Hauptdisziplin, was uns wieder zu dem bringt, warum wir dieses Magazin überhaupt ins Leben gerufen haben.

Das Hauptthema in Ausgabe 01 stellt Athleten mit unterschiedlichen Hintergründen vor. So erfahren Leser:innen den Unterschied zwischen verschiedenen Handstandtechniken und -ansätzen und lernen die Geschichten dieser Athleten, Lehrer und Beweger kennen. Außerdem handelt es von verschiedenen Arten des Handstandes und zeigt auf, was sie alle gemeinsam haben.

Foto: Issue 01 Common Ground – The Handstand Press Magazine

Laut eurer Webseite steht der Launch von Issue 02 „Community“ auch bald bevor. Wann kommt die zweite Ausgabe heraus?

Die zweite Ausgabe wird im Dezember herauskommen. Wir bringen das Magazin immer halbjährig heraus – einmal im Sommer und einmal im Winter.

Während in Ausgabe 01 der Handstand in verschiedenen Bewegungsdisziplinen vorgestellt wurde, zeigt diese zweite Ausgabe, wie wir alle durch Handstand interagieren, unabhängig von unserem Hintergrund. Obwohl die Natur des Handstandes zutiefst introspektiv ist, schafft die Anziehungskraft, die Übung in der Einsamkeit zu genießen, und das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten zu verbinden, ein interessantes Tauziehen.

In vielen Fällen beeinflusst der Versuch, beide Impulse unter einen Hut zu bringen, nicht nur die Art und Weise, wie jemand die Disziplin ausübt, sondern auch, wie er sein Leben gestaltet. Natürlich ist die Erfahrung einer Person in der Handbalancegemeinschaft sehr individuell, aber basierend auf unseren Erfahrungen, unseren Gesprächen mit unzähligen Menschen und den Einsendungen, die wir für diese Ausgabe erhalten haben, kann das Handstandtraining zu menschlichen Interaktionen führen. Diese Verbindungen können einen tiefen und langanhaltenden Einfluss auf das Leben eines Handbalancers haben.

Worauf wollt ihr euch im Issue 02 fokussieren?

Der Fokus dieser Ausgabe ist Community. Über die Handstandgemeinschaft als Ganzes zu sprechen bedeutet, darüber zu sprechen, was Gemeinschaft für jeden Einzelnen bedeutet, und über die Menschen, die sie auf ihrem Streben nach Gleichgewicht getroffen haben. Gemeinschaft bedeutet hier: All die Menschen, die du triffst, wenn du deine Leidenschaft für den Handstand teilen willst. Wer sind die Menschen, mit denen du dich austobst? Mit wem sprichst du über die Schwierigkeiten in der Praxis? Wer ist da, um deine Erfolge zu feiern? Diese anderen Balancierer können aus allen möglichen Bereichen der Bewegung kommen. Sie haben vielleicht eine andere Herangehensweise an die Technik oder leben auf der anderen Seite des Globus. Wie auch immer, wenn du dich mit ihnen durch die Praxis des Handstandes verbindest, dann nennen wir das deine Gemeinschaft.

Wir wollen auch zeigen, wer die Handbalancierer auf der Welt sind, wie sie trainieren und wie deren Umstände sind. Das wird, glaube ich, sehr spannend zu sehen, wie sich Menschen einfach treffen, um auf ihren Händen zu stehen.

Foto: Die Handstand Community – The Handstand Press Magazin

Mehr zu Elise:

Die dreißigjährige Elise Missall ist in Hamburg aufgewachsen und in Folge ihres Studiums in Kulturwissenschaften 2013 nach Dublin für ein neunmonatiges Auslandssemester gezogen. Nach der entdeckten Liebe zur Jonglage, dem Zirkus und dem Handstand, entschloss sie sich mit ihrem irischen Lebenspartner in Dublin zu bleiben. Derzeit betreibt sie mit ihrem Partner eine Online Handstand-, Zirkus-, Beweglichkeitstrainingskurse namens „Handstand Factory“, sowie das multimediale Verlagshaus „Motion Impulse“, das in verschiedensten Medien Unterrichtsmaterialien, sowohl in der darstellenden Kunst (Zirkus), als auch für den Gesundheits- und Fitnessbereich, produziert.