“Das war das schnellste Bewerbungsgespräch meines Lebens”

Elke Hesse spricht im Interview darüber, wie sich ihre Karriere über Umwege vom Rampenlicht auf der Bühne zur Direktorin des MuTh – dem Konzertsaal der Wiener Sängerknaben entwickelt hat, wie sie ihr Familienleben mit ihrer beruflichen Laufbahn verbunden hat und wie der Bau des jüngsten Konzerthauses in Wien eine neue Form von künstlerischen Protesten hervorgebracht hat.

Frau Hesse, wie war es für Sie mit dem Bau des MuTh beauftragt zu werden? Immerhin war es ja der erste Konzertsaal seit über 100 Jahren, der in Wien gebaut wurde.

Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Seit die Baugrube ausgehoben wurde, leite ich das Projekt und das war schon etwas ganz Besonderes. Der Bau des Musikvereins wurde quasi vom Kaiserhaus genehmigt, das Konzerthaus von der Bürgerschaft, kann man sagen und das MuTh von einer Stiftung und einem Mäzen.

MuTh – Konzerthaus der Wiener Sängerknaben. Quelle: muth.at Foto: Helmut Karl Lackner

Aber gab es nicht speziell am Anfang viel Gegenwehr gegen das Projekt?

Ja, es gab viel Streit davor, so wie immer in Wien. Es war sehr lange die Diskussion, wo soll das Ganze gebaut werden? Ursprünglich war geplant, dass das Haus nur für die Wiener Sängerknaben als Probeort und als Ort, wo sie ihre speziellen Projekte wie ihre Kinderopern aufführen, fungieren soll. Es kam hier zu diesem Ort am Wiener Augartenspitz und es gab eine Gruppe, die sich gegen die Bebauung des Wiener Augartens gewehrt hat. Diese Gruppe hat riesige Protestwellen gestartet.

War das der Verein “Freunde des Augartens”?

Genau. Die haben sich quer gestellt, was ich eigentlich auch ganz toll fand, da es ein wahnsinnig kreativer Protest war. Also ein künstlerischer Protest eigentlich und das war schon etwas Besonderes. Das hat eine neue Protest-Kultur an den Tag gebracht oder zumindest einige Mitglieder davon. Die hatten sehr kreative Ideen und irgendwie hat mir das auch sehr gefallen. Andere wiederum waren so hart, dass es überhaupt nicht möglich war, an sie ranzukommen und mit ihnen zu diskutieren. Die waren alle der festen Überzeugung, dass das überhaupt nicht geht. Die Sängerknaben sind sowieso so hoch subventioniert und wieso sollen die jetzt auch noch ein eigenes Haus bekommen. Es waren einfach so viele Falschinformationen unterwegs.

Was kann man sich denn unter kreativen Protestformen bzw. kreativen Protesten vorstellen?

Naja, das war in Form von künstlerischen Interventionen würde ich sagen. Da war zum Beispiel eine Gruppe um eine Bühnenbildnerin und die haben mit ganz tollen Kostümen demonstriert. Sie haben gemeinsam gesungen und ich habe mich eben dazugesellt und habe mitgesungen. So bin ich dann über das Singen in Kontakt mit ihnen gekommen. Anders war es nicht möglich.

Das hört sich jetzt aber nicht so an, als wäre das ein großer Protest gewesen, wenn Sie sich mit den Protestierenden zusammen hinstellen und singen.

Nein nein, das waren schon richtige Proteste. Ich war noch gar nicht in Wien wie das begonnen hat, dass die Idee hier aufgekommen ist. Da habe ich gerade ein Festival in Deutschland geleitet. Aber es haben sich die Leute teilweise an Bäume gekettet und die Baustelle musste zwei Jahre lang rund um die Uhr von einer Securityfirma besetzt werden. Das alleine hat uns beim Bau eine Million Euro gekostet.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Sie gefragt wurden, ob Sie das Haus leiten möchten?

Durch einen Zufall. Ich war davor schon im Theater an der Josefstadt künstlerische Betriebsdirektorin  unter Intendant Hans Gratzer und dem kaufmännischen Direktor Alexander Götz. Götz war dann auch im Aufsichtsrat des neu zu bauenden Konzertsaals. Als ich 2005 die Festspiele in Bad Hersfeld vorbereitet habe, und dabei ein frisch geborenes Kind hatte, habe ich von ihm einen Anruf bekommen, ob er mich für die Leitung vorschlagen darf. Ich habe daraufhin nur lächelnd gemeint: „Natürlich darfst du mich vorschlagen!“, so ist das eigentlich relativ schnell gegangen. Das war das schnellste Bewerbungsgespräch meines Lebens. Innerhalb von 10 Minuten hatte ich den Job.

Sie hatten zu der Zeit ein neugeborenes Kind – war das je ein Problem für Sie, das familiäre Leben und die berufliche Laufbahn unter ein Dach zu bringen?

Ich glaube, jeder würde lügen, wenn er sagt, es ist kein Problem. Ich habe das Glück, dass meine Kinder liebende Fremdschläfer waren. Wenn du einen Job hast, wo du am Abend arbeitest, ist das sonst schwierig. Ich bin bei beiden Alleinerzieherin und habe den großen Vorteil eines guten sozialen Systems um mich herum – sprich, meine Eltern, meine Geschwister, meine Freunde. Insofern war es für mich im Nachhinein gesehen – man sieht es dann immer etwas leichter – eigentlich easy. Trotzdem lebt man immer noch im Unterbewusstsein mit diesem Rollenbild, eine Mutter muss immer bei ihren Kindern sein, eine Mutter muss immer zu Hause sein, wenn sie zum Beispiel von der Schule nach Hause kommen. Da hatte ich schon öfters ein schlechtes Gewissen. Aber das tolle war, dass ich das immer mit meinen Kindern besprochen habe, auch wie sie ganz klein waren und eher die mich beruhigt haben.

Sie sind ja ursprünglich auch selber auf der Bühne gestanden. Wann haben Sie für sich beschlossen, anstatt auf der Bühne zu stehen, sozusagen hinter der Bühne die Fäden zu ziehen?    

Elke Hesse, Direktorin des MuTh. Quelle: muth.at Foto: Helmut Karl Lackner

Ich komme aus einer sehr guten bürgerlichen Familie. Ich habe zwei ältere Brüder und das kleine Mädchen war sozusagen der Sonnenschein, da stand schnell fest – die wird künstlerisch ausgebildet neben der Schule. Also bin ich auf die Akademie der Musikhochschule, da gab es auch eine Ballettabteilung – das war im Schloss Schönbrunn. Später bin ich dann über den Tanz zum Schauspiel gekommen. Ich habe am Konservatorium meinen Abschluss gemacht und bin danach nach Deutschland gegangen. Später war ich auch bei einer Kabarettgruppe in Wien. Ich habe mir aber selbst immer zugeschaut beim Spielen und habe gemerkt, ich bin einfach keine Künstlerin. Zu der Zeit ist ein Schauspieler auf mich zugekommen und hat gemeint, dass ich die geborene Produzentin wäre. Ich habe ihm dann geantwortet: „Wenn du das glaubst, dann mache ich das!“, und habe mich quasi von heute auf morgen selbständig gemacht. Ich habe wie eine Art Filmproduktionsfirma im Theaterbereich aufgebaut. Das gab es davor nicht in Wien. Die Leute haben sich geschlagen um mich. Ab diesem Moment, ab dieser Entscheidung, ist dann mein Weg ganz steil nach oben gegangen.

Also haben Sie für sich in Ihrem Leben alles richtig gemacht?

Nein, um Gottes Willen. Ich habe auch viele Dinge, die ich vielleicht hätte anders machen sollen, aber wenn man sich jetzt meinen Lebenslauf im Groben anschaut, war das glaube ich der richtige Weg. Beruflich war es auf jeden Fall der richtige Weg – auf Umwegen. Ich bin auch sehr stolz darauf, dass das quasi in Wien wahrgenommen wird. Ich bin jetzt auch in den Aufsichtsrat der Staatsoper berufen worden. Das sind alles Dinge wo man sich denkt, super, meine Arbeit hier wird auch wahrgenommen.

Ich glaube 2019 war auch ein besonderer Punkt wo man gemerkt hat, dass Ihre Arbeit wertgeschätzt wurde. Sie haben ja Anfang des Jahres den Ehrentitel Professorin verliehen bekommen.

Ja, das war für mich ein toller Moment, ich habe mich irrsinnig gefreut. Vor allem die Verleihung im MuTh war besonders lustig. Ich habe damals gesagt, dass ich nicht möchte, dass die Verleihung irgendwo in einem Ministerium stattfindet, sondern ich würde die Verleihung wahnsinnig gerne im MuTh machen. An meinem Arbeitsort quasi. Das hat mir sehr gut gefallen, weil ich all meine Freunde ins MuTh einladen konnte. Das ist der einzige Nachteil an meinem Beruf, weil ich so viel am Abend arbeite, dass es schwer ist, Freundschaften zu pflegen. So klassische Einladungen mit Rückeinladungen. Ich werde immer nur eingeladen und kann dann nie zurück einladen. Deshalb habe ich mir gedacht, das ist jetzt die Chance alle, die an meinem Werdegang, -das sind ja auch meine Freunde – einzuladen und es waren auch irrsinnig viele da. Es war einfach ein lustiges Fest und es hat glaub ich auch dem Ministerium damals sehr gut gefallen.

Als abschließende Frage: Haben Sie noch offene Ziele oder Wünsche im Leben, die Sie sich bisher noch nicht erfüllen konnten?

Also ich habe zwar einen Abschluss – ich bin diplomierte Darstellerin, aber ich habe ja auch paar Semester Musikwissenschaft studiert und das wollte ich eigentlich immer abschließen. Vor zwei Jahren habe ich mir gedacht, ich möchte das jetzt auch abschließen, aber es haben mir alle gesagt, dass ich dann wieder vom Anfang beginnen müsste und ich das eigentlich eh schon alles weiß und kenne. Trotzdem glaube ich, dass ich das im Alter dann doch nochmal abschließen werde. Sonst wünsche ich mir eigentlich nur, dass ich im Hirn immer offen bleiben kann, also dass ich nicht krank werde und nicht mehr weiterdenken kann. Das wünsche ich mir eigentlich am allermeisten.