dasinterview.at ist im Rahmen der Lehrveranstaltung “Interviewführung” des Journalismus-Studiums der FH Wien der WKW entstanden.

“Jedes gute Interview ist irgendwie außerhalb der Komfortzone”, haben wir öfters von unseren Gastredner*innen in der Lehrveranstaltung gehört. Wir glauben: Das macht ein Interview oft erst interessant. Sonst kann es schnell zu brav, überholt oder einfach – na ja – etwas fad sein. Um den richtigen Grad zwischen gleichgültiger Tiefenentspannung und völligem Nervenzusammenbruch zu finden, haben wir hier unsere Lektionen für ein gelungenes Interview zusammengefasst – und stellen so ganz nebenbei unsere Abschlussinterviews vor.

1. Recherchiere genau

Eine Geschichte beginnt mit der Recherche. Bei einem Interview gehören neben Fakten und Informationen zusätzlich der Werdegang und der Lebenslauf des Interviewten dazu. Besonders viel Recherchearbeit hat Julia Jesch gehabt, die für ihren Beitrag „Vulva, Menstruation, Masturbation“ mit gleich drei spannenden Frauen gesprochen hat.

2. Erzähle eine Geschichte

Auch das Interview hat ein Anfang und ein Ende und es gilt, einen Bogen zwischen beiden Punkten zu spannen. Es sollte einer Dramaturgie folgen und sich auf einige wenige, dafür fundierte Themen beschränken. In Maelle Nausners Podcast zieht sich der rote Faden durchs Rotlichtmilieu. Sie hat mit zwei Sexarbeiterinnen gesprochen.

3. Beleuchte mehrere Seiten

Im Journalismus sollten immer mehrere Seiten beleuchtet werden und möglichst viele Betroffene zu Wort kommen. Stefan Kraber hat in seinem Beitrag über Aus- und Fortbildung bei den österreichischen Pfadfindern deshalb sowohl mit der Geschäftsführung als auch mit Gruppenleiter*innen an der Basis gesprochen.

Lerne von den Profis: Im Hintergrundgespräch mit Simone Stribl konnte sie uns viele wertvolle Tipps mitgeben.

4. Bedenke die Zielgruppe

Interviews sind ständig in Balance zwischen Nische und Massentauglichkeit. Aber was ist auch für die Leser*innen spannend? Besonders bei den Fragen an den Mathematiker Sergey Yurkevich musste Stefan Filipov diese Punkte bedenken – und hat Antworten bekommen, die nicht nur für Mathe-Nerds relevant sind.

5. Formuliere deine Fragen

Wie du deine Fragen formulierst, ist auch eine Frage des Stils. Auf jeden Fall macht es Sinn, sich die Fragen zuvor selbst laut und deutlich vorzulesen. Bei dem Gespräch von Emilia Garbsch mit Roboterfrau Bina48 nutze auch das nichts. Ironischerweise versteht der Roboter nämlich keine Sprache über Lautsprecher, sondern nur “natürliche” Stimmen. Glücklicherweise fungierte ihr Schöpfer Bruce Duncan als Dolmetscher – und formulierte auch noch um.



6. Wärme deine Stimme auf


Selbstbewusste Stimmlage und Aufwärmübungen haben wir in der Lehreinheit “Stimm- und Sprechtrainig” geübt.


7. Nütze dein Know-How

Ein Gespräch funktioniert, wenn beide Gesprächspartner*innen etwas vom Thema verstehen. Es gibt eine Verbindung und es funkt. So war es auch beim Beitrag „Mit 180 in die Kurve und rauf in den Modehimmel“ von Sara Idranyi über den Modeschöpfer Christoph Tsitinis.

Rede mit dem Umfeld: Ö3-Moderatorin Claudia Stöckl verriet uns ihr Erfolgsrezept: Sie ruft um tiptop vorbereitet für ihre Interviews bei „Frühstück bei mir“ zu sein bei Weggefährt*innen an – sogar bei den Müttern.

8. Der Ort ist entscheidend

Bei einem Interview empfiehlt sich ein angenehmes Setting. Eventuell sogar ein Ort, welchen die/der Interviewte kennt und sich wohl fühlt. Deshalb hat Erik Kalmar mit einem Friseur in dessen eigenem Friseursalon gesprochen. Mit dabei noch ein halbes Dutzend Kunden als Zaungäste, die Erik aus seiner Komfortzone brachten. Atmosphäre garantiert.

9. Nutze deine Connections

Jede/r die/den du kennst, ist eine mögliche Quelle für ein Interview. Das dachte sich auch Stefan Kraber, der Elke Hesse, die Direktorin des MuTh – also des Konzertsaals der Wiener Sängerknaben,- interviewte. Dort arbeitet Stefan nämlich.

10. Wähle den richtigen Zugang

Es gibt verschiedene Zugänge, ein Interview zu führen: Konfrontativ, persönlich, sachlich oder nüchtern. Mit Johann, einer nicht-binären Person, musste Maelle Nausner den Mittelweg zwischen einem persönlichen und einem sachlichen Gespräch finden, um die Privatsphäre von Johann nicht zu verletzen.

Lass dich nicht unterkriegen: Alexandra Wachter hat uns unter anderem beraten, wie man seriös bleibt, auch wenn der Interviewpartner es einmal nicht ist.

11. Erfinde ein neues Format

Dein Interviewpartner heißt Armin Wolf und bewegt sich vor allem auf Twitter? Mach es wie Emil Biller und interviewe ihn genau dort. Dabei entsteht so nebenbei auch noch ein neues Format.

12. Teile dir die Zeit ein

Die Zeit ist ein Faktor, denn sie ist limitiert und kann nicht zurückgedreht werden. Das musste auch Roderick Martin am eigenen Leib erfahren: Er hat Nahost-Korrespondentin Susanne Glass viel befragt, aber eben nicht, was eine Nahost-Korrespondentin tut, wenn sie zwei Monate nicht in den Nahen Osten kann. Dafür sehr viel anderes: Von der Spaltung der israelischen Gesellschaft bis Donald Trump.

13. Zwischenfragen sind erwünscht

Der Fragenkatalog ist fertig, die Stimme aufgewärmt und das Aufnahmegerät hat frische Batterien. Der Gast sitzt auch auf seinem Platz und damit kann das Interview beginnen.
Und nun? Fragenkatalog abarbeiten oder ein spontanes Gespräch führen? Diesen Balance-Akt musste auch Stefan Filipov in seinem Musiker-Interview mit Lou Asril meistern.

Wir haben das Team gefragt, wie es ihrer Komfortzone bei den Interviews geht. Hier ihre Antworten zur ersten Interview-Welle.

14. Es muss nicht immer ein Promi sein

Ganz im Gegenteil: Es soll nicht immer ein Promi sein. Oft ist es besser, ganz nah an den Menschen dran zu sein – wie im Beitrag „Vom Allerletzten zur wichtigsten Säule des Staates“ von Erik Kalmar. Er hat mit dem Leiter einer Supermarkt-Filiale über dessen Erfahrung in der Corona-Krise gesprochen.

Hake nach: Imgard Griss hat, als sie bei uns zu Gast war, erst nach mehrmaliger Nachfrage klar bestätigt: Als Bundespräsidentin tritt sie sicher nicht mehr an.

15. Hole dir Verstärkung

Im Team geht es manchmal leichter. Vor allem, wenn auch das Gegenüber gleich doppelt stark ist. Emil Biller und Emilia Garbsch haben deshalb für ihren Podcast mit Corinna Millborn (u.a. Puls24 ) und Michael Matzenberger (Der Standard) ein Tandem gebildet.

16. In der Kürze liegt die Würze

Das Gespräch kann noch so spannend und das Gegenüber noch so toll gewesen sein, kein Mensch wird sich ein Interview von zwei Stunden anhören. „Keep it short and simple“ lautet das Motto. Mehr als die Hälfte gekürzt und die wichtigsten Informationen herausgesucht hat Julia Jesch bei dem Interview, in dem sie mit einer Betroffenen über Epilepsie gesprochen hat.

Wir haben das Team gefragt, wie es ihrer Komfortzone bei den Interviews geht. Hier ihre Antworten zur zweiten Interview-Wellle.

17. Mach es komplett anders

Ein Interview muss nicht nur Frage und Antwort sein. Es kann auch aus Zitaten, Bildern, Zahlen oder Bewegungen bestehen. Sara Idranyi schlug in ihrem Gespräch mit Violonistin Jacqueline Kopacinski mal einen neuen Weg ein und ließ die Musik sprechen. Herausgekommen ist dabei ein audiovisuelles Klangexperiment.

18. Scheitern ist erlaubt

Manchmal läuft eine Geschichte ins Leere und kann nicht veröffentlicht werden. Gründe dafür gibt es viele. Roderick Martin hat mit der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch über die Corona-Situation im Oktober und die Nachwirkungen der Wiener Gemeinderatswahlen gesprochen. Wir haben beschlossen, das Interview aus Aktualitäts-Gründen nicht zu publizieren.