Durch die Augen von Bundeskanzlern
Clemens Eisenhut
Die Meinungen Österreichs Kanzler hört man zu genüge während ihrer Amtszeit, doch sobald die nächste Legislaturperiode anfängt, geraten sie schnell in Vergessenheit. Die österreichische Politik beschäftigt sich immer wieder mit den gleichen Problemen und die folgende Zitatensammlung soll zeigen, wie sich der Diskurs über diese Probleme verändert hat.
„Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich“ könnte die präziseste Prognose der österreichischen Politik des 21. Jahrhundert sein. Seit dem Jahr 2000 waren verschiedene Parteien in der Regierung, es gab mehrere vorgezogene Wahlen und ständig neue Krisen. Trotzdem gibt es einige Themen, die Österreich nach über 20 Jahren immer noch beschäftigen.
Diese Sammlung an Zitaten aus 20 Jahren Interviews mit Österreichs Kanzlern sollen zeigen, wie sich der Diskurs in Österreich verändert hat.
Wolfgang Schüssel war österreichischer Bundeskanzler einer ÖVP-FPÖ Koalition von 2000 bis 2005 und später Kanzler einer ÖVP-BZÖ Koalition von 2005 bis 2007.
Werner Faymann war österreichischer Bundeskanzler einer SPÖ-ÖVP Koalition von 2008 bis 2016.
Christian Kern war österreichischer Bundeskanzler einer SPÖ-ÖVP Koalition von 2016 bis 2017.
Sebastian Kurz war österreichischer Bundeskanzler einer ÖVP-FPÖ Koalition von 2017 bis 2019 und später Kanzler einer ÖVP-Grünen Koalition von 2020 bis 2021.
Karl Nehammer war österreichischer Bundeskanzler einer ÖVP-Grünen Koalition seit 2021.
Wie sollen wir mit Menschen umgehen die in Österreich Asyl suchen?
Wir sind genauso christlich, sozial und menschlich wie andere. Aber wir können nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge bei uns aufnehmen. Da ist ein klares Wort wichtig. Da erwarte ich auch von den anderen politischen Parteien mehr Ehrlichkeit.
– Wolfgang Schüssel in der APA 13.10.2002
Wir waren keine Wegdrücker, haben 90.000 Menschen im Vorjahr aufgenommen und nehmen für die nächsten vier Jahre noch einmal 1,5 Prozent gemessen an der Bevölkerung. Aber wenn heuer wie prognostiziert wieder zwei Millionen Menschen durch Österreich durchgehen möchten, wovon möglicherweise 400.000 bei uns Asyl sagen, und man macht die Augen zu als Regierungschef, dann ist man fehl am Platz.
– Werner Faymann in der Presse 27.03.2016
Wenn bei uns jemand Asylrecht hat, dann hat er das zu bleiben […] Wir wollen bei der Integration bereits dort ansetzen, wenn Menschen um Asyl ansuchen und wir wissen, sie werden bleiben. Das ist eine sehr menschliche, vernünftige Politik. Auf der anderen Seite haben, die kein Recht auf Schutz, die illegal im Land sind. Sie müssen außer Landes gebracht werden. Dazu stehe ich. Das halte ich nicht für rassistisch.“
– Christian Kern im Kurier 08.02.2017
[…] Das kann ich zu 1000 Prozent ausschließen, dass ich jemals eine Scheinrechnung erstellt, geschrieben, erhalten oder sonst irgendetwas habe. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie bereichert und ich habe selbstverständlich nie eine Scheinrechnung oder sonst irgendetwas gestellt oder erhalten
– Sebastian Kurz in der Augsburger Allgemeinen 02.09.2020
Wir sind in engem Austausch mit den staatlichen Stellen in Kabul und planen, auch ohne Kooperationen mit anderen EU-Ländern Abschiebungen durchzuführen. Jede wird im Vorfeld weiterhin auf die Einhaltung von Menschenrechten und Sicherheitsanforderungen geprüft. Alles andere wäre ein falsches Signal.
– Karl Nehammer in der Kleinen Zeitung 15.08.2021, zu dieser Zeit noch Innenminister der Regierung Kurz II
Halten Sie den Islam für eine große Bedrohung?
“Völlig unsinnig” ist es für Schüssel, aus den Anschlägen einen Kampf des Islam gegen das Abendland zu konstruieren. “Das führt zu Verdächtigungen, die sehr viel anrichten können”, sagte er am Donnerstagabend im ORF-“Report“. Denn: “Der neue Terrorismus – so weit es überhaupt Informationen darüber gibt – hat keine klaren Ziele“, er sei negativ ausgerichtet, es gehe ums Zerstören. Der Kanzler wies auch darauf hin, dass sich in Österreich nun jüdische und islamische Mitbürger bedroht fühlten, seine Aufgabe sei es, “allen, die sich betroffen fühlen, Sicherheit zu geben”.
– aus dem Standard 12.09.2021
Religionsfreiheit einzuschränken wäre Unsinn. Die Religion ist nicht das Problem. Das Problem sind jene extremen Kräfte, die die Religion missbrauchen.
– Werner Faymann in der Presse 26.03.2016
Aus einer falsch verstandenen Toleranz heraus hat man manches für einen Beitrag zur gesellschaftlichen Vielfalt gehalten. Wir haben nicht Vielfalt geerntet, sondern eine massive Abschottung. Ich bin davon überzeugt, dass wir dem politischen Islam, dem Islamismus und insbesondere dem Salafismus mit aller Entschiedenheit entgegenzutreten haben. Ich halte den Salafismus für eine faschistische Ausprägung oder Pervertierung des Islam. Da müssen wir nicht nur mit Edukation, sondern auch sicherheitspolizeilich dagegenhalten.
– Christian Kern in Wina 17.07.2017
Null Toleranz gegenüber dem politischen Islamismus. Dieses Gedankengut mit Traditionen wie der Scharia hat bei uns keinen Platz. Österreich ist ein freies, offenes und demokratisches Land. Damit das so bleibt, müssen wir gegen den politischen Islamismus ankämpfen.
– Sebastian Kurz auf meinbezirk.at 15.09.2017 Zu dieser Zeit noch Außenminister der Regierung Kern
Der Polizei ist ein Schlag gegen den Nährboden des Extremismus gelungen. Personen, die im Verdacht der terroristischen Vereinigung, der Terrorismusfinanzierung, der staatsfeindlichen Verbindungen, der kriminellen Organisation und der Geldwäscherei standen, waren Ziel der Aktion. Der entscheidende Schlag gegen die Muslimbrüderschaft und gegen die Hamas in Österreich hat das Ziel, die Wurzeln des politischen Islam zu bekämpfen. Mir ist es wichtig, dass wir alle Menschen in unserem Land – besonders auch die Muslime – vor dem radikalen Islamismus schützen.
– Karl Nehammer auf Twitter 09.11.2020 zu dieser Zeit noch Innenminister Der Regierung Kurz II
Wäre eine NATO-Beitritt eine Option für Österreich?
Mit dem Beitritt zur EU wurde ein entscheidender Schritt schon gemacht, der die Neutralität weiterentwickelt und überholt hat. Wir sollten alle Optionen – auch die Beitrittsoption (zur NATO, Anm.) -sorgfältig prüfen und nichts von vornherein ausschließen. Kluge Politik schließt nichts aus.
– Wolfgang Schüssel im Profil 03.11.2001
Es werde seitens der ÖVP in der kommenden Legislaturperiode keine Initiative für einen Beitritt Österreichs zur NATO geben. Auf diese Position legten sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner am Mittwoch in Wien bei der Präsentation des außenpolitischen Programmes der ÖVP für die kommenden vier Jahre fest. Die Frage eines NATO-Beitritts stelle sich derzeit nicht, ergänzte Ferrero-Waldner, vorrangig sei die Zusammenarbeit mit der NATO im Rahmen der EU. – APA 23.10.2002
Österreich ist aufgrund seiner Neutralität ein idealer Ort des Dialoges. Wir stehen gerne zu Verfügung und bieten dies auch an, wenn es von den Verhandlungspartnern gewünscht wird. […] Die österreichische Neutralität hat sich bewährt und wird beibehalten.
– Werner Faymann in ÖSTERREICH 04.04.2009
„Die Neutralität ist im Rahmen der europäischen Integration nach wie vor ein wirksames Instrument. Und wir werden sicher nicht der NATO beitreten – das steht für mich fest.“
– Christian Kern auf meinbezirk.at 08.09.2017
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Sebastian Kurz hat sich zu dem Thema Neutralität und NATO nicht während seiner Amtszeit geäußert.
Für Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ist ein NATO-Beitritt Österreichs weiter kein Thema. Zwar gebe es eine neue Qualität der Kooperation neutraler oder bündnisfreier Staaten wie Österreich mit der westlichen Verteidigungsallianz, doch stelle eine Mitgliedschaft keine “Variante des Denkens” dar. Das formulierte Nehammer am Mittwoch am Rande des NATO-Gipfels in Madrid. Österreich sei und bleibe neutral, aber auch ein verlässlicher Partner in Fragen der Sicherheitspolitik.
– APA 29.06.2022
Wie stehen Sie zur Erbschaftssteuer?
Ungeachtet des Wunschs der SPÖ nach einer Reform der Erbschaftssteuer hält die ÖVP an der Forderung nach deren Abschaffung fest. Vor Beginn des Parteivorstands am Montag zeigten sich die führenden VP-Politiker kompromisslos. Klubchef Wolfgang Schüssel meinte etwa vor Sitzungsbeginn: “Selbstverständlich werden wir auf der Abschaffung beharren.”
– Ausschnitt einer APA Meldung 12.03.2007
Anmerkung: Im August 2008 wurde die Erbschaftssteuer abgeschafft.
Ich sage, wir sind für die Erbschaftssteuer, das wird Teil der Koalitionsverhandlung sein. Eine Erbschaftssteuer existiert auch in Deutschland mit einer Bundeskanzlerin Merkel. Und mir kann niemand sagen, dass Deutschland besonderes unternehmer- oder familienfeindlich ist. Ich bin für eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro, vergleichbar mit Deutschland, mit hohen Ausnahmen, hohen Freigrenzen, auch Familien würden besonders bevorzugt.
– Werner Faymann im Standard 12.11.2012
Wenn Sie ein Durchschnittseinkommen nehmen, dann ist es so, dass man acht mal auf die Welt kommen müsste und hart arbeiten müsste, um den Startnachteil zu kompensieren, den er gegenüber jemanden hat, der eine Million Euro hat. Da bin ich der Meinung, das ist nicht gerecht, das ist nicht in Ordnung, das bringt unsere Gesellschaft immer weiter auseinander. Und ich bin nicht der Meinung, dass die Leute komplett enteignet gehören, sie sollen einen Beitrag zahlen, damit wir in der Gemeinschaft die notwendige Infrastruktur… ein besseres Gesundheitssystem, mehr Lehrer, mehr Polizisten auf der Straße finanzieren können.
– Christian Kern im ORF 2 Sommergespräch 04.09.2017
Wenn man sogar jetzt schon fürs Sterben auch noch in Österreich besteuert wird, dann überspannt das meiner Meinung nach irgendwann den Bogen. […] Wenn sich jemand in Österreich, wo es eh schwer ist, sich etwas zu schaffen, etwas aufgebaut hat, sein Leben lang gespart hat, eine Eigentumswohnung oder ein Haus erwirtschaftet hat und das möchte er den Kindern weitergeben und er hat das nicht verprasst oder ist auf Urlaub gefahren, sondern hat sich mühselig etwas erspart, hat auch immer dafür Steuer bezahlt. Dann muss er doch die Möglichkeit haben, darüber zu entscheiden.
– Sebastian Kurz in der ZIB 2 06.09.2017.
…
Karl Nehammer hat sich zu dem Thema Erbschaftssteuer nicht während seiner Amtszeit geäußert. (Stand 01.01.2023)
Was sagen Sie zu den Vorwürfen gegen Ihre Partei / Ihren Koalitionspartner?
Ich bin weder der Verein noch der Betroffene. Ich denke mir, dass alle Maßnahmen und Frage im Rahmen der Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft, durch die Finanz und jetzt durch die Wirtschaftsprüfer auch voll inhaltlich aufgeklärt werden können. Da ist ja nichts Unrechtes geschehen.
– Wolfgang Schüssel in der APA 04.02.2002
Hier wurde Wolfgang Schüssel zur Causa-Grasser, (später Homepage-Affäre genannt) befragt, bei der der damalig Finanzminister Karl Heinz Grasser der Steuerhinterziehung beschuldigt wurde. Karl Heinz Grasser wurde später wegen vielen verschieden Vorwürfen geklagt und steht bis Heute vor Gericht.
Die Vorwürfe gehen ins Leere […] Sowohl die Vorstände der ÖBB als auch der Asfinag haben erklärt, dass sämtliche Beschlüsse in diesem Zusammenhang rechtmäßig zustande gekommen sind
– Werner Faymann in der Kleinen Zeitung 24.09.2011
Werner Faymann wurde zur Inseratenaffäre befragt. Ihm wurde vorgeworfen, er hätte während seiner Zeit als Infrastrukturminister versucht mit hohen Inseraten positive Berichterstattung zu kaufen. Das Verfahren wurde später eingestellt.
Was passiert ist, war inakzeptabel, aber nicht in unserem Auftrag. Das war unmoralisch, aber selbst wenn man diesen Aspekt weglässt: Warum sollten wir für ein Dirty Campaigning bezahlen, bei dem 80 Prozent der Motive den eigenen Kandidaten in den Schmutz ziehen? Wenn es wer in der SPÖ für clever hält, den Kanzler in einer Fotomontage am Klo sitzend zu zeigen, dann halte ich den für einen Irren. Das ist alles so idiotisch, dass du dir an den Kopf greifst. Die SPÖ hat das weder beauftragt noch bezahlt. Ich habe deshalb auch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet.
– Christian Kern im Standard 06.10.2017
Christian Kern wurde zur Silberstein-Affäre befragt. Dem langjährigen SPÖ Beraten Tal Silberstein wurde Dirty Campaigning gegen Christan Kerns Kontrahenten Sebastian Kurz vorgeworfen. Tal Silberstein erhielt später eine Haftstrafe in Rumänien aufgrund eines anderen Prozesses‘.
[…] Das kann ich zu 1000 Prozent ausschließen, dass ich jemals eine Scheinrechnung erstellt, geschrieben, erhalten oder sonst irgendetwas habe. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie bereichert und ich habe selbstverständlich nie eine Scheinrechnung oder sonst irgendetwas gestellt oder erhalten
– Sebastian Kurz in der ZIB 2 06.10.2021
Sebastian Kurz wurde zur ÖVP-Korruptionsaffäre befragt. Ihm wird vorgeworfen während seiner Zeit als Außenminister gefälschte Meinungsumfragen in Auftrag gestellt zu haben. Am 02.12.2021 gab Sebastian Kurz seinen Rückzug aus der Politik bekannt. Der Skandal ist noch nicht vollständig aufgeklärt (Stand 01.01.2023)
Dass die ÖVP eine korrupte Partei wäre, weise ich zurück. Wir haben über 20.000 Gemeinderätinnen und Gemeinderäte. Wir stellen über 1500 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und sechs Landeshauptleute. Wir sind als ÖVP ein fest verwurzelter Teil der Republik, die wir mitbegründet haben. Es gab und gibt auch Ermittlungen gegen hochrangige Politiker im Umfeld der SPÖ, bei den Grünen und auch bei der FPÖ.
– Karl Nehammer im Profil 25.01.2022
Karl Nehammer wurde zur ÖVP-Korruptionsaffäre befragt. Gegen Karl Nehammer persönlich gibt es nach momentanem Stand keine Vorwürfe (01.01.2023)
Die meisten Bundeskanzler leben nach ihrer Amtszeit sehr zurückgezogen und vermeiden öffentliche Statements. Auch Wolfgang Schüssel vermeidet öffentliche Auftritte, doch zur ÖVP-Korruptionsaffäre gab er ein Interview, welches wirklich zeigt, wie wenig sich in Österreich ändert.
Nicht jedes Inserat das die Regierung oder die Stadt Wien vergibt ist Korruption […] Natürlich, wenn etwas aufzuklären ist, dafür haben wir die Justiz aber ich glaube schon, dass man sich ein bisschen davon befreien sollte den Blick auf diese Dinge zu lenken, sondern die wahren Probleme der Menschen sind wirklich woanders. Das ist die Gesundheit, das sind die Arbeitsplätze, die Frage der Sicherheit, die Flüchtlingsintegration. Wir haben zehntausende Menschen aufgenommen die noch nicht genügend integriert sind. Wir haben so viele Menschen die noch immer mit den Folgen der Corona Erkrankung zu ringen haben und ich finde das ist zehn Mal wichtiger als die Frage ob jetzt in der Pandemie die Bundesregierung zu viel inseriert hat oder ob beispielweise vor fünf Jahren ein Inserat eine bessere Bewertung vom damaligen Außenminister Sebastian Kurz versus den damaligen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gegeben hat. Das interessiert ehrlich gesagt die meisten Leute heute Nüsse. Aber wir können nicht alle Wirtschaftsflüchtlinge bei uns aufnehmen. Da ist ein klares Wort wichtig. Da erwarte ich auch von den anderen politischen Parteien mehr Ehrlichkeit.
– Wolfgang Schüssel auf Puls 24 20.10.2021