Hooligans. Für Viele der Inbegriff von toxischer Maskulinität. Gewaltbereit, laut und aggressiv. Und das Alles im Namen des Fußballs. Oder doch nicht?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich im November 2023 Bene getroffen. Eine Stunde haben wir uns erstaunlicherweise wenig über Fußball, dafür aber umso länger über Gewalt unterhalten. Seinen Namen habe ich auf seinen Wunsch hin geändert, und auch, für welchen Verein er sich prügelt, ist für unser Interview nicht relevant.
Wie wichtig ist dir Fußball?
Also Fußball an sich ist mir eigentlich gar nicht so wichtig. Ich hab da ehrlicherweise relativ wenig Bezug dazu. Mir geht’s da rein ums Kämpfen. Also die ausgemachten Geschichten im Wald.
Nimm uns mit. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Das bedeutet, dass man sich im Vorhinein zu einem Kampf an einem abgelegenen Ort verabredet. Man macht eine gewisse Anzahl an Personen aus, und meistens sagt man auch noch dazu, wie alt die Leute sind oder wie viele Erfahrungen sie haben, damit das Ganze ausgeglichen ist.
Ist dort alles erlaubt?
Ja, mehr oder weniger. Ein festgeschriebenes Regelwerk gibt’s nicht. Tritte in den Schritt, Beißen oder Kratzen hätte ich jetzt aber noch nicht mitbekommen. Was aber definitiv geht, ist weiterzutreten, wenn jemand am Boden liegt. Also auf den Kopf zum Beispiel, manchmal auf zu mehrt. Spätestens wenn jemand bewusstlos ist, wird aber aufgehört. Oder wenn die Person „aus“ sagt.
Kannst du beschreiben, wie sich das anfühlt?
Also, davor werden die Beine ein bisschen zittrig und schlaff und die Hände feucht. Und eigentlich setzt so eine Art Fluchtinstinkt ein. Aber wenn man die Leute sieht und man aufeinander zuläuft, dann wechselt das recht schnell in so eine Leere, die super angenehm ist. Das ist einfach reines Funktionieren. Wie ein Reset. Danach bin ich sehr befreit.
Welche Eigenschaften braucht man als Hooligan?
Ein gewisses Körpergewicht und Größe schaden nicht. Das ist alles von Vorteil, ich kenne aber auch Leute, die das nicht haben. Also ich würde sagen, vor allem viel Herz und viel Mut!
Mut, andere zu verletzen?
Für mich persönlich geht es in dem Moment nicht darum, andere zu verletzen, sondern um das, was es in mir auslöst. Wenn ich das Gefühl anders hervorrufen könnte, würde ich das wahrscheinlich ausprobieren.
Hast du schon mal versucht, eine Alternative zu finden? Bungee-Jumping zum Beispiel?
Ich habe andere Sportarten ausprobiert, aber die lagen mir einfach nicht so. Bungee-Jumping, nein, das tatsächlich nicht. Ich finde, das hat immer noch etwas sehr Kontrolliertes.
Inwiefern kontrolliert?
Man kann die Folgen sehr gut abschätzen. Bei einer Schlägerei ist das anders. Es geht von “ich komme komplett heraus”, über ein blaues Auge bis hin zu schwereren Verletzungen. Alles ist möglich. Das sorgt dann für einen größeren Kick.
Was bedeutet Selbstverantwortung in dem Kontext?
Sich vorzubereiten und zu wissen, worauf man sich einlässt. Wenn man Teil der Fußballszene ist, gibt es einfach ein Risiko, mit Gewalt in Berührung zu kommen. Dem muss man sich bewusst sein.
Und Männlichkeit?
Männlichkeit spielt eine große Rolle. Ich glaube, dass die meisten dort ein sehr klassisches Rollenbild vertreten. Es geht auch drum, sich zu beweisen. Wer sich haut, ist jemand, und in keine andere Subkultur ist Gewalt so eine einfache Eintrittskarte. Das hat sicher mit dem Männlichkeitsbild zu tun.
Was würdest du sagen, das ist es, was euch alle verbindet?
Nein, traditionelle Rollenbilder sind echt nicht meins. Ich würde wirklich sagen, es ist der Spaß am Kämpfen und das Interesse an Gewalt.
Und wie würdest du eure Gruppendynamik beschreiben?
Es gibt auf jeden Fall eine Hierarchie. Aber unter Hooligans gibt es einen starken Zusammenhalt. Ich habe einfach immer das Gefühl, dass ich mich auf die Leute verlassen kann. Ich glaube, dass diese Art von Angst, die spürt, bevor es losgeht, irgendwie auch verbindet.
Für viele Menschen ist Gewalt ja etwas
sehr Negatives. Warum ist das bei dir anders?
Da kann ich wieder nur für mich sprechen. Ich bin damit schon relativ früh in Kontakt gekommen. Aber im sportlichen Sinne. Vor dem Boxen habe ich Eishockey gespielt, was ja auch ein sehr kontaktreicher und eher härterer Sport ist. Ich konnte mich da auch gut behaupten und ich denke, es ist normal, dass man eher Spaß an Dingen hat, die einem liegen.
Nur im sportlichen Sinne?
Okay, also ich war schon immer jemand, der sich wehrt. Das war schon in der Schule so. Wenn ich oder jemand anders ungerecht behandelt wurde oder mich jemand genervt hat, hab immer was gesagt oder mich physisch gewehrt.
Was ist öfter gefallen – Worte oder Fäuste?
Als die Pubertät losging, hab ich sicher öfter mal zugehauen, aber das hat sich nach ein, zwei Jahren auch relativ schnell wieder erledigt gehabt.
Was hat sich verändert?
Vermutlich, dass man von anderen irgendwann auch als erwachsener Mensch wahrgenommen und auch als solcher konfrontiert wird.
Gibt es trotzdem Menschen, die Angst vor dir haben?
Ich würde sagen, Respekt ist mir schon lieb. Es wäre mir aber unangenehm, wenn Leute wirklich aktiv Angst hätten, dass ihnen grundlos was passiert. Das ist nichts, was ich gerne vermitteln würde.
Wo bist du komplett raus?
Straßenschlägereien versuche ich zu vermeiden.
Warum? Wäre das nicht noch ein größerer Kick?
Ich habe einfach keine Lust auf Stress mit der Polizei oder darauf, dass es mich in meiner weiteren Laufbahn irgendwie einschränken könnte. Und wie schon gesagt: Weil ich mir bei Straßenschlägerein nicht sicher sein kann, ob mein Gegenüber wirklich eine körperliche Auseinandersetzung haben will.
Hast du schon Erfahrungen mit der Polizei gemacht?
Also ich habe keine Vorstrafen, falls du das meinst.
Aber?
An Spieltagen lehnt man schon mal in Handschellen an irgendeinem Auto und wird durchsucht. Im Fußballkontext ist das aber ziemlich normal. Privat werde ich an Grenzen wegen meines Aussehens aber auch ab und zu rausgezogen.
In welchem Moment würdest du dich trotzdem für Gewalt auf der Straße entscheiden?
Ich hab so gut wie nie Auseinandersetzungen außerhalb des Fußballs. Aber ich würde sagen, wenn es unumgänglich ist. Das Ding ist: Entweder wirst du geschlagen oder du wehrst dich. Und wie gesagt, ich war schon immer eher der Typ „Wehren“.
Weiß dein Umfeld, dass du so tickst?
In meinem Umfeld wissen das aber so gut wie alle. Mit der Fußballgeschichte bin ich früher offener umgegangen, aber weil ich teilweise negative Reaktionen drauf bekommen habe, behalte ich das eher für mich.
Wer hat ein Problem damit?
Meine Mama findet es nicht so super. Meine Partnerin tut vielleicht ab und zu so, aber ich weiß: Eigentlich findet sie es auch ein bisschen heiß.
Abschließend: Hast du ein Gewaltproblem?
Ich glaub eher nicht. In den Situationen, in denen ich Gewalt ausübe, setzten sich alle Leute freiwillig damit auseinander. Und da ich mich da ja auch sehr bewusst dafür entscheide, stellt es für mich jetzt kein Problem dar.
“Der Inbegriff toxischer Männlichkeit. Gewaltbereit, laut und aggressiv. Und das alles im Namen des Fußballs.” Ich bin ehrlich: Ich bin tatsächlich etwas hin und hergerissen. Von meiner provokanten Einleitung hat sich im Gespräch mit Bene wenig bewahrheitet.
Auf mich wirkt er weder laut oder aggressiv, noch würde ich ihn den Inbegriff toxischer Männlichkeit nennen. Ich würde sogar sagen, dass er einen recht reflektierten Eindruck macht. Trotzdem frage ich mich, ob es wirklich okay ist, Gewalt auszuüben, nur weil der Rahmen klar abgesteckt ist. Ich wende mich an den Schweizer Experten Dr. Alain Brechbühl. Er forscht an der Universität Bern zu Gewalt bei Sportveranstaltungen.
Er sagt dazu: Es gibt Personen in der Szene, die sich klar von Gewalt gegen unbeteiligte Personen abgrenzen und sagen „Wir machen das wirklich in diesem klassischen Hooliganverständnis nur gegen solche, die das auch wollen“. Natürlich haben die Personen trotzdem einen Hang zur Gewalt, sonst würden sie sich ja nicht auf solche Feld-, Wald-, Wiesengeschichten einlassen. Aber, weil Parteien bereit sind, sich Schlägen und physischer Schädigung auszusetzen, kommen diese verabredeten Kämpfen einem sportlichen Setting sehr nahe.
Zu beurteilen, ob Auseinandersetzungen dieser Art in Ordnung sind, findet Dr. Brechbühl schwierig: „Das ist eine sehr starke Wertung, von der ich Abstand nehmen würde. Es ist mit Sicherheit sinnvoller, als wenn Personen in Mitleidenschaft gezogen werden, die nichts damit zu tun haben.“